Text: Andreas Frost
Ihre Gäste möchte Kamila Sösemann an der Ruhe und Entspanntheit dieses Ortes teilhaben lassen. „Ich wünsche mir, dass sie hier ankommen und bei sich sein können. Mit den Augen über den weiten Horizont zu wandern – das weitet ja auch den inneren Blick.“ Der Ort heißt Gut Pohnstorf in der Mecklenburgischen Schweiz. Angekommen sind Kamila und Fabian Sösemann mit ihren beiden Kindern vor knapp fünf Jahren. Da haben sie das Gutshaus aus dem 19. Jahrhundert übernommen. Das Backsteingemäuer steht am Hang eines der vielen Hügel und lässt weit blicken. Über die Felder, die Wiesen, den Himmel.
Drinnen laden mehrere Ferienwohnungen, ein großer Saal und ein Salon zum Verweilen, zum Reden und zum Feiern ein. Moderne gediegene Möbel stehen in hellen Räumen auf alten Dielen vor farbigen Wänden. Hinter dem Haus wartet eine Wiese mit hohem Gras. Wer will, kann das ganze Gutshaus mieten; für eine Hochzeit, für die Firmen-Auszeit oder für den Yoga-Workshop.
Kamila Sösemann: „Hauptsache, unsere Gäste bekommen ihr Freiheitsgefühl.“ Familie Sösemann wohnt nebenan in einem Nebengebäude der alten Gutsanlage, das sie Stück für Stück saniert haben.
Vor fünf Jahren waren Kamila und Fabian Sösemann noch überzeugte und beruflich erfolgreiche Großstadtmenschen, gut vernetzt im politischen Berlin und insbesondere in der Energiebranche unterwegs. Juristin Kamila Sösemann allerdings zweifelte: „Ich hatte genug Häkchen gemacht bei den Dingen, die ich erreichen wollte. Und auf Dauer wollte ich so nicht mehr arbeiten.“ Von dem zum Verkauf stehenden Gutshaus erfuhren sie im Herbst 2017 während einer Urlaubsreise. „Ich habe mich sofort in das Haus verliebt. Aus dem Bauch heraus haben wir recht schnell entschieden, den Sprung zu wagen.“ Schließlich hatten ihre Eltern ihr nicht nur vermittelt, dass Bildung wichtig sei, sondern auch keine Angst zu haben.
Gut Pohnstorf war bereits zum Feriendomizil ausgestaltet worden, als die Sösemanns ankamen. Unsaniert hätte Kamila Sösemann es nicht genommen. „Ich wollte nicht auf einer Baustelle leben. Ich möchte ein besonderes Haus beleben“, erzählt sie. Nun wartet viel Kunst auf Betrachterinnen und Betrachter: Fotos, Gemälde, Skulpturen. Die Ferienwohnungen hat sie nach bedeutenden Frauen aus dem 19. Jahrhundert benannt, der Bauzeit des Gutshauses. Eine etwa erinnert an Bertha Pappenheim, die den Jüdischen Frauenbund gründete, aber auch für Sigmund Freud als „Patientin Anna O.“ für die Entwicklung der Psychoanalyse eine wichtige Rolle spielte.
„Ich habe hier mehr zu tun als in der Stadt“, berichtet Kamila Sösemann, „aber ich muss niemanden fragen, ich kann selbst entscheiden. Ich bin hier selbstbestimmter.“ In der Region, so weiß sie zu berichten, gebe es viele kreative Menschen und eine vielseitige Kultur. Menschen mit einer Vision „und einem frischen Auge für das Potenzial dieser Gegend“. Es sei fast wie das Berlin der 1990er-Jahre: „Hier brodelt es“, lacht sie, „hier kann man gestalten, aufbauen und sich etwas trauen – ohne viel Kapital zu haben.“ Und auch das hat sich Kamila Sösemann getraut: Sie ist jetzt Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr.