Traditionelles Handwerk hat in Mecklenburg-Vorpommern nach wie vor goldenen Boden. Wir haben eine Bootsbauerin und einen Binnenfischer besucht, stellen Deutschlands einzigen Meister der Bernsteinschleiferei vor und schauen, wie das Rügener Rapsöl entsteht.
Bei Christin Hacker hängen Hobel und Sägen an der Wand. Es gibt Schleifscheiben und Stechbeitel, Firnis und Lack, Schraubzwingen und Bohrer, Pinsel und Schrauben: Die 34-Jährige ist eine der wenigen Bootsbauerinnen des Landes.
Christin stammt aus Rathenow in Brandenburg und stieg schon als Siebenjährige das erste Mal in ein Kanu. Sie wurde Leistungssportlerin, eine Verletzung stoppte die Laufbahn jedoch, Christin wechselte nach Wetzlar und wurde Bootsbauerin. „Diese Entscheidung war ein bisschen angelehnt an meinen Sport“, erinnert sie sich. Ein Bürojob wäre nie infrage gekommen. „Mir war immer klar, ich will raus. Und am besten was mit den Händen machen.“ Handwerk liegt in ihrer Familie, mit Wasser und Booten hatte sie seit Jahren jeden Tag zu tun gehabt – da lag die Entscheidung nahe.
Eine Zukunft in Mecklenburg-Vorpommern
Zwei Jahre nach ihrem Abschluss blieb sie noch in ihrem Ausbildungsbetrieb, dann zog es sie nach Waren an der Müritz. In dem Bootsbaubetrieb entstanden Jollenkreuzer, also Segelboote, und wurden auch restauriert. „Ich wollte nicht mehr nur mit Hightech-Materialien arbeiten, sondern auch ganz klassisch mit Holz. Das ist ja das Traditionelle an meinem Beruf“, sagt sie. Kunststoffe dagegen, auch manche Farben und Schutzanstriche, sind moderne Entwicklungen im Bootsbau.
Ende 2015 wagte Christin in Malchin den Schritt in die Selbstständigkeit. „Da war meine erste Tochter gerade ein Jahr alt“, erzählt die junge Handwerkerin. „Das ging nur mit Mut und Schwung. Und viel Unterstützung.“ Die notwendige Meisterausbildung hatte sie schon weitgehend absolviert, bis heute fehlt nur noch das Meisterstück. „Es ist schon komplett geplant und gezeichnet – mir fehlt nur die Zeit.“ Denn inzwischen haben ihr Mann und sie eine weitere Tochter bekommen. Die Eltern teilen sich die Aufgaben, auch Haus, Hof und Hund wollen versorgt werden.
Eine Frau – eine Werkstatt
Und nicht zuletzt spielen natürlich die Boote eine Hauptrolle, die Christin Hacker für ihre Kunden repariert und restauriert: Segelboote bis zehn Meter Länge, kleine Motorboote – aus Holz genauso wie aus Kunststoff. Manche behält sie sogar im Winterlager. „Ich benutze inzwischen relativ viele Maschinen, aber vieles geht mit der Hand einfacher und besser: hobeln oder Gehrungen sägen zum Beispiel.“ Inzwischen hat sich ihre Arbeit deutschlandweit herumgesprochen.
Dieses Land ist definitiv lebenswert. Es gibt viel Natur, auch größere Städte und genug Platz für alle, die lieber kleiner wohnen wollen – so wie wir.
Christin Hacker
Sie arbeitet noch komplett allein. „Wenn mal was Schweres gehoben werden muss, muss ich mir was einfallen lassen“, lacht sie. „Ich würde gern jemanden einstellen – am besten einen gelernten Handwerker.“ Die Freizeit verbringt die Familie meist unter freiem Himmel, ist ab und zu auf dem Wasser unterwegs – natürlich im eigenen Boot. „Dieses Land ist definitiv lebenswert. Es gibt viel Natur, auch größere Städte und genug Platz für alle, die lieber kleiner wohnen wollen – so wie wir. Wir haben hier alles vor der Tür, was wir brauchen.“
Frische Fische aus Mecklenburger Seen
Jeden Morgen raus aufs Wasser, Netze kontrollieren, Fische an Land holen – das geht für Steffen Steinbeck nur zwischen Oktober und Ostern. In der kühlen Jahreszeit geht der Müritzfischer seinem geliebten Beruf nach, im Sommer arbeitet er auf dem Fischereihof in Boek. Dort wachsen die Fische in 25 Teichen heran, Besucher können sie kaufen und essen, beim Räuchern zuschauen oder sogar selbst angeln – spannend auch und gerade für Kinder.
Tradition einer Fischerfamilie
Steinbeck ist Binnenfischer mit Leib und Seele. Gut 35 Jahre arbeitet er schon in diesem Betrieb, vor der Wende eine Produktionsgenossenschaft werktätiger Fischer. Sein Großvater war 1952 einer der Gründer. „In sämtlichen Ferien, die ich hatte, bin ich mit ihm aufs Wasser gefahren.“
Er stammt aus Röbel, nur ein paar Kilometer entfernt, und würde seinen Beruf immer wieder wählen. „Es ist hart: Man muss es lieben, im Herbst und Winter kalte Finger zu haben und im Sommer bei 30 Grad ohne Schatten zu arbeiten. Aber es ist in der Natur, mit der Natur. Mich faszinieren die Weite, die frische Luft, das Wasser.“ Steinbeck ist einer der dienstältesten Fischer hier. Er weiß: Der Fischfang selbst läuft noch genauso ab wie vor Jahrhunderten. Nur das Material hat sich verändert: „Früher hatte man Baumwollnetze, heute Polyäthylen. Früher waren die Kähne aus Holz, heute aus Plaste. Früher ist man gesegelt und gerudert, heute fährt man mit Motor.“ Außerdem wird der Fisch heute sofort verkauft. So wissen die Kunden genau, dass sie absolut frische Ware bekommen.
Standorte rund um den See
Inzwischen ist das Unternehmen „Müritzfischer“ eine GmbH, darin zusammengeschlossen weit über 100 Fischer aus Neubrandenburg und Plau am See und natürlich die von der Müritz. Sie arbeiten im flächenmäßig größten Binnenfischereibetrieb Deutschlands, fangen Aal, Zander, Barsch und Hecht, Schleie und Karpfen – je nach Jahreszeit. Und sie haben zwölf touristische Standorte, es gibt einen Online-Shop und sogar zwei Fischkaufhäuser mit riesiger Auswahl.
Wir haben viele Seen, große Wälder, hübsche Städte – und nette Menschen.
Steffen Steinbeck
Steffen Steinbeck würde niemals hier weggehen. „Wir haben viele Seen, große Wälder, hübsche Städte – und nette Menschen. Ich habe hier meine Wurzeln, ich bin zufrieden“, sagt er und klingt absolut überzeugt.
Gelbes Gold aus schwarzen Körnern
Wenn Cindy Remien den Hahn aufdreht, kommt nicht Wasser heraus, sondern goldgelbes Rapsöl, hergestellt beim Rügener Landhandel in Rambin. Die Felder mit den gelben Blüten sind ein Markenzeichen von Mecklenburg-Vorpommern – „aber das Öl pressen wir aus den schwarzen Körnern“, sagt die Leiterin des Lebensmittelbereiches. Genauso schwarz ist die Dose, in der das Naturprodukt verkauft wird.
Remien hatte schon immer ein Talent für Gestaltung, ist gelernte Raumausstatterin. Nach mehreren Zwischenstationen kam die gebürtige Stralsunderin vor mehr als zehn Jahren zum Landhandel. Das Unternehmen gehört zur Rügener Getreide- und Dienstleistungs GmbH, einem landwirtschaftlichen Unternehmen. „Da musste ich mich natürlich erst mal einarbeiten“, erzählt die 41-Jährige. „Aber auch hier durfte ich meine Kreativität ausleben.“ Perfektion gehört für sie immer dazu.
Verlosung
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Ein ganz besonderes Öl
Das Rapsöl wurde schnell ein begehrtes Produkt. „Wenn das erste Öl aus dem Hahn kommt, duftet der ganze Raum wie ein Rapsfeld – das ist immer wieder ein Erlebnis“, erzählt Cindy Remien. Ein weiterer Erfolgsgrund: die Verpackung, entworfen von der passionierten Gestalterin. „Traditionell sollte es sein, das Logo wie ein Siegel. Die Dose besteht aus Weißblech, weil das kalt gepresste Öl dunkel aufbewahrt werden soll.“ Bis heute werden sämtliche Dosen von zwei Kollegen per Hand abgefüllt und etikettiert – etwa 100.000 Stück pro Jahr.
Der Raps stammt von den eigenen Feldern des Betriebes. Erst im Herbst wird die hauseigene Presse angeworfen, das Öl gereinigt und gefiltert. Aus dem Tank fließt es über den Hahn direkt in die Dosen. Für die außergewöhnliche Qualität wird es seit 2010 immer wieder ausgezeichnet. Das Rügener Rapsöl geht an Bäckereien, Hotellerie und Gastronomie, aber natürlich auch an Touristen, Einheimische und in den Online-Handel – deutschlandweit.
Naturprodukte von der Insel
Seit Kurzem bietet das Unternehmen auch Fleisch und selbst hergestellten Käse an. Rapshonig steht schon länger in den Regalen, außerdem Gewürzmischungen und Apfelchips. Und nicht zuletzt werden im Landhandel auch Futtermittel für die einheimischen Bauern hergestellt und gemischt.
Wir haben eine atemberaubende Natur – das allein ist es wert, hier zu leben.
Cindy Remien
Remien wohnt seit vielen Jahren auf Rügen. „Schon als Kind war ich mehr der Insel verbunden als der Stadt, war oft bei meinen Großeltern, mochte das Landleben. Und wir haben eine atemberaubende Natur – das allein ist es wert, hier zu leben.“
Schönes aus sehr altem Material
Dort, wo Henning Schröder arbeitet, entsteht ebenfalls Gold, zumindest im übertragenen Sinne: Er ist Deutschlands einziger Meister der Bernsteinschleiferei. Wenn er die oft unscheinbaren Steine schneidet, schleift und poliert, liegt am Ende ein einzigartiges Stück auf dem Tisch.
„Gold des Nordens“ wird der Bernstein auch genannt, ist seit Jahrtausenden begehrt. Dabei sind die Steine gar keine, sondern bestehen aus fossilem Baumharz. In der Nähe von Kaliningrad gibt es so viel Bernstein, dass er seit mehr als 100 Jahren im Tagebau gewonnen wird.
Der einzige Meister
Das Deutsche Bernsteinmuseum im Kloster von Ribnitz-Damgarten zeigt das versteinerte Baumharz in vielen Formen: In manchen Stücken sind Insekten oder Blüten eingeschlossen, andere wurden zu Schmuck oder kleinen Möbeln verarbeitet. Henning Schröder kennt das alles seit Kindertagen. Tagelang streifte er am Strand entlang und freute sich über jeden kleinen Bernstein, den er fand. „Das ist wohl ein Teil dieser Faszination, die wir beim Bernstein empfinden: eine Schatzsuche am Strand. Wir versuchen, etwas zu finden, das nicht so leicht zu haben ist.“
Das ist wohl ein Teil dieser Faszination, die wir beim Bernstein empfinden: eine Schatzsuche am Strand.
Henning Schröder
Später traf er den damaligen Meister der Bernsteinschleiferei, der damals schon 76 war und keinen Nachfolger hatte. Henning war begeistert von dessen Arbeit und begann seine Lehre hier. „Ich habe als 16-Jähriger nicht den Schmuck gesehen, der entsteht, sondern den Stein. Und das Handwerk.“
Offiziell heißt der Beruf Holzdrechsler/Elfenbeinschnitzer in Fachrichtung Bernstein. Für sechs Wochen arbeitete Schröder sogar in der Werkstatt in St. Petersburg, die das legendäre Bernsteinzimmer nachgebaut hat. „Das war das Paradies für mich“, lacht der 39-Jährige. „Faustgroße Bernsteine sind für uns hier die größten – das waren dort die kleinsten.“ Später absolvierte Schröder die Meisterschule nahe Frankfurt am Main.
Handwerk mit bewegter Geschichte
Schon 1938 gestaltete ein Ribnitzer Goldschmied den sogenannten Fischland-Schmuck mit Bernstein, der bei den Gästen gut ankam. Als nach dem Zweiten Weltkrieg Flüchtlinge aus Osteuropa nach Mecklenburg kamen, brachten sie das traditionelle Bernsteinschleifer-Handwerk mit.
Heutzutage gibt es für fast alle Arbeitsschritte Maschinen oder Geräte. Manches aber bleibt Handarbeit, Schnitzereien zum Beispiel. Und hier im Museum möchten die Besucher auch sehen, wie aus einem Roh-Bernstein zum Beispiel eine polierte Perle wird. An dieser Arbeit hat der Ribnitzer Meister nach wie vor viel Freude. Neben Schmuckstücken entstehen Schatullen, Kerzenleuchter oder ganze Schachspiele – auch auf Bestellung. „Man erkennt jedes Stück wieder, denn jeder Bernstein ist anders.“
Dass Schröder der Einzige seines Fachs in Deutschland ist, liegt an der industriellen Fertigung in Osteuropa, meint er, und auch daran, dass Bernstein lange Zeit nicht sehr gefragt war. Doch derzeit bildet er wieder einen Lehrling aus. „So verbringe ich knapp die Hälfte meiner Arbeitszeit in der Werkstatt“, freut er sich. Denn seit einiger Zeit leitet Schröder das ganze Museum, hat also auch viele andere Aufgaben auf seinem Plan.
MV ist der ideale Standort für sein Handwerk, meint Schröder. Privat ist er oft an der Ostsee, genießt die Natur. „Das war als Kind schon so, und das ist es bis heute.“