Land

Fruchtiges Netzwerk über ganz Mecklenburg-Vorpommern

Artikel vorlesen lassen

Autorin: Juliane Fuchs

Biologin Anja Abdank und Obstgehölzpfleger Dirk Müller bewahren das Wissen über alte Obstbaumsorten und ihre Pflege – mit dem Streuobstnetzwerk Mecklenburg-Vorpommern.

Holunder überwucherte für Jahre eine alte Streuobstwiese am Ortseingang von Dreetz, einer Gemeinde südlich von Bützow im Landkreis Rostock. Der zugewachsene Schatz aus Birnen- und Apfelbäumen war Biologin Anja Abdank und Obstgehölzpfleger Dirk Müller sofort ans Herz gewachsen. Vor etwa 20 Jahren hat das Paar am anderen Dorfende sein Heim gebaut, eingebettet in mehrere Generationen alte Baumbestände. Die jungen Stämme zählen schon neue Ringe. 

Streuobstwiesen sind extensiv bewirtschaftete Grünlandflächen, auf denen hochstämmige Obstbäume in lockerer Anordnung gepflanzt sind. Diese traditionelle Form des Obstbaus bietet Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten und ist ein charakteristischer Bestandteil der Kulturlandschaft in Mecklenburg-Vorpommern. Sie dienen dem Erhalt der Biodiversität, der Produktion regionaler Obstsorten und dem Landschaftsschutz.

NABU (Naturschutzbund Deutschland) e. V.

„Wir rechnen in Generationen bei hochstämmigen Obstbäumen, deren Kronenäste auf einer Stammhöhe von 1,80 bis 2,20 Meter ansetzen. Sie entwickeln große Kronen und sind sehr langlebig“, sagt Dirk Müller.

Niedrigstämmige Gehölze bilden viel kleinere Kronen, weshalb sie besonders für die Massenproduktion kultiviert werden. Alte Sorten verhalten sich anders: Beispielsweise pflanzte das Paar vor 15 Jahren drei hochstämmige Kirschbäume, von denen es seit einigen Sommern eimerweise erntet. Die Äste einer alten Gellerts Butterbirne vor dem Haus biegen sich seit Jahrzehnten im Herbst unter der Last der Früchte.

Obstbaumpflege hat jahrtausendealte Tradition

Dirk Müller hat schon als Junge bei seinem Vater in der Baumschule das Beschneiden von Obstbäumen gelernt. Das Wissen über alte Kultursorten und ihre Pflege ging in den vergangenen Jahrzehnten fast verloren. Für ihren Erhalt ließ Müller sich zum zertifizierten Obstgehölzpfleger ausbilden. 

Im Laufe der Jahre wurden viele Streuobstwiesen gerodet oder blieben ohne Pflege sich selbst überlassen. Das Wissen über alte Sortenvielfalt, ihre Vermehrung und Pflege ging verloren.

Anja Abdank

Gemeinsam mit anderen gründeten der Diplom-Ingenieur und seine Frau Anja, Diplom-Biologin in der Oberen Naturschutzbehörde, 2009 das Streuobstnetzwerk MV. Im nahe gelegenen Gutshaus Hermannshagen fanden sich Gleichgesinnte. Der Pomologen-Verein unterstützt bei der Sortenbestimmung und bietet Kurse zur Obstbaumpflege an. Das Streuobstnetzwerk wuchs, es entstanden Kooperationen und eine Internetseite. Eine Datenbank zur Streuobst-Kartierung mit App wird stetig entwickelt. Mit dem Umweltministerium wurde der Streuobstgenussschein kreiert. Diese Obstbaumliebe wurzelt in jahrhundertealter Kultur. Mittlerweile verbindet das Netzwerk Naturmenschen im Land und darüber hinaus.

Vor vielen Jahren auf den Geschmack gekommen. Naturliebhaber Anja und Dirk.

Voller Stolz. Biologin Anja Abdank und Obergehölzpflerger Dirk Müller präsentieren Erfolge.

Auf Streuobstwiesen haben Baum und Frucht genügend Freiraum, um sich zu entfalten.

Jahrhundertealte Sorten pfropfen auf jungen Stämmen

Über Jahrhunderte haben Bauern Hochstämme auf ihren Höfen und in Dorfrandlagen gepflanzt. Walnuss galt als Brotbaum, den jeder Hof benötigte. Andere Früchte wie Äpfel, Birnen, Kirschen und Pflaumen versorgten die Menschen im Winter mit vitaminreicher Nahrung, dienten etwa in Form von Dörrobst als Zuckerlieferant. 

Bereits die alten Römer und Griechen vermehrten Obstbäume durch Aufpfropfen. Noch heute werden Zweige gezüchteter Obstsorten auf bestehende Gehölze gesetzt. Beide Pflanzenteile wachsen zusammen. Der aufgepfropfte Pflanzenteil bringt die Fruchtqualität der Sorte mit und profitiert bei Wuchsform.

Jede Hofstelle war hierzulande mit großen Obstbäumen ausgestattet, oft in der Randlage von Dörfern. Sie lieferten den Bewohnern reiche Ernte.

Dirk Müller

Geordnete Plantagen statt artenreiche Streuobstwiesen

Nicht nur Obstbäume brauchen Pflege. Anjas Herz schlägt auch für Vierbeiner.

Im 18. und 19. Jahrhundert florierten die Apfel- und Birnenzüchtungen. Mit der Industrialisierung waren die Hochstämme nicht mehr zeitgemäß, weil sie in der Pflege zu aufwendig sind. Sogenannte Halbstämme und Niedrigstämme wurden zum Trend – schnell wachsend und tragend sowie leicht zu ernten. Gegen Schädlinge wurden Spritzmittel eingesetzt. Intensiv gepflegte Obstplantagen ersetzten die Streuobstwiesen.

Einige Hochstämme tragen bis zu fünf Sorten. Wie andere Kulturpflanzen brauchen die Gehölze Pflege. Zwar schenken sie erst nach einigen Jahren Früchte, überzeugen allerdings mit Krankheits- und Schädlingsresistenz, Anpassung an Standorte und Langlebigkeit. Pflaumenbäume erreichen ein Alter von bis zu 80, Apfelbäume bis 120 und Birnbäume sogar bis 150 Jahre.

Fruchtige Oasen für bis zu 1.000 Arten

Auf einer Sortenausstellung der Pomologen in Bützow trafen Anja Abdank und Dirk Müller auf Gleichgesinnte und erhielten Anregungen und Hilfe. In den folgenden Jahren stießen sie auf alte Kartierungen von Streuobstwiesen, digitalisierten die Daten und werteten sie aus. In den Jahren 2016 bis 2018 initiierte das Paar die ehrenamtliche Kartierung einer repräsentativen Streuobstwiese am Schaalsee gemeinsam mit den Zoologen und Botanikern der Naturforschenden Gesellschaft Mecklenburgs. „Wir wiesen nach, dass Streuobstwiesen in MV Biotope mit bis zu 1.000 Arten bilden“, erklärt Anja Abdank. 

Obstbäume sind Kulturpflanzen. Sie brauchen Erziehung, damit sie gleichmäßig wachsen, Stabilität für viele Früchte erlangen und sehr alt werden.

Dirk Müller

Streuobstnetzwerk gedeiht durch Aktive

Mit dem wiederentdeckten alten Wissen werden Streuobstwiesen wieder zu artenreichen Lebensräumen. Wer kann alte Sorten bestimmen? Wo gibt es Baumschnitt-Lehrgänge? Interessierte finden beim Streuobstnetzwerk Antworten, Kurse, und Kontakte. Das Netzwerk lässt Streuobstwiesen wie die am Dreetzer Ortseingang wieder gedeihen. Mitmachen ist ausdrücklich erwünscht.

www.mv-tut-gut.de Impressum Datenschutz Barrierefreiheit