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Breite Strände, rauschende Wellen, frische Luft, erholsame Wälder – Mecklenburg-Vorpommerns weite Landschaft bietet viel, was der Gesundheit dient. Und es gibt zahlreiche engagierte Akteurinnen und Akteure mit guten Ideen für alle Bereiche der Gesundheitsvorsorge und -versorgung. Gesund werden und gesund bleiben – das ist im Gesundheitsland MV Anspruch und erlebbare Wirklichkeit.
Text: Andreas Frost
Erholung für die fünf Sinne – in den Kaiserbädern auf Usedom
Für die Schönheit empfiehlt Karin Lehmann Windkosmetik fürs Gesicht: „Einmal gegen den Wind den Strand entlang, einmal mit dem Wind und danach eine zärtliche französische Zupfmassage – mehr braucht es eigentlich nicht.“ Für die Gesundheit allgemein hingegen reicht es schon, überhaupt nach Usedom an den langen, breiten Strand der drei Kaiserbäder Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck zu kommen.
„Sie müssen einfach nur ans Meer gehen, die Füße im Sand drehen, sich vom Rauschen der Wellen beruhigen lassen, das Salz auf den Lippen schmecken“, schwärmt Karin Lehmann, während sie an der Reling der langen Seebrücke in Heringsdorf in der Sonne lehnt. Sie ist in der Gemeinde für Gesundheits- und Kulturprojekte zuständig. „Unser mildes Meerwasser ist als Arzneimittel anerkannt“, berichtet Karin Lehmann. Es hilft bei Hauterkrankungen, die feinen salzhaltigen Tröpfchen aus der Brandung sind gut für jede Atemtherapie. „Das Meer wäscht alle Übel ab – das hat schon der griechische Dichter Euripides vor 2.500 Jahren gesagt.“
Die Urkraft des Meeres indes holen die Heringsdorfer seit 1908 aus 408 Metern Tiefe: In der Ostsee-Therme in Ahlbeck kann man in der vierprozentigen Jodsole schwimmen und ruhen. Sie eignet sich auch zum Trinken und wirkt unter anderem gegen Darmträgheit.
Heringsdorf hat nicht nur das Meer vor der Nase, sondern auch den Küstenwald im Rücken. „Die Kombination aus See- und Waldklima bewirkt eine wechselnde bioklimatische Intensität und ergibt ein mildes gesundes Reizklima“, erklärt Karin Lehmann. Die Gäste der Kaiserbäder kommen, um Urlaub zu machen oder zur Kur. Seit 1997 ist die Gemeinde Seeheilbad, seit 2008 auch zertifizierter Thalasso-Ort.
Karin Lehmann hat als stellvertretende Kurdirektorin seit 1990 daran mitgearbeitet, die Kaiserbäder zu neuem und möglichst natürlichem Leben zu erwecken: „Wir bieten den Gästen Gesundheitsbausteine an: Sport und Yoga am Strand, eine Klimawanderung, Thalasso mit ausgebildeten Therapeutinnen und Therapeuten und vieles mehr.“ Sie selbst, so sagt sie, ist überzeugt von der Nutzung der Heilkräfte aus der Natur, macht sich lieber Wadenwickel, statt Antibiotika zu nehmen.
Heringsdorf, Ahlbeck und Bansin, deren Zusatz „Kaiserbäder“ auf die Besuche Kaiser Wilhelms II. zurückgehen, bieten nicht nur natürliche „ortsgebundene Heilmittel“, wie Karin Lehmann es nennt, sondern auch durch ihre reizvolle Architektur. Die ersten Sommergäste kamen schon vor 200 Jahren. Später bauten gut situierte Kaufleute ihre noblen Villen, bevor die Kaiserbäder dank der guten Bahnverbindung zur „Badewanne Berlins“ wurden. Künstler wie Maxim Gorki, Lyonel Feininger und Lion Feuchtwanger schauten vorbei, der Stummfilmstar Xenia Desni residierte hinter den Dünen.

Die Seebrücke Heringsdorf ist mit 503 Metern die längste Seebrücke Kontinentaleuropas und diente ursprünglich als Landungsbrücke für Besucherinnen und Besucher. (Bild: STUDIO 301/Andreas Duerst)
„Das Ensemble der Bäderarchitektur ist ein Kleinod“, sagt Karin Lehmann. Nach der Wende 1990 wurden mehr als 100 Gebäude unter Denkmalschutz gestellt. Die Kaiserbäder atmen Geschichte, die mondänen Grazien der Bäderarchitektur stehen in Kontrast zu den wenigen Bauten der DDR-Architektur. Denn zu dieser Geschichte gehört auch das von den Sowjets 1948 gebaute Kulturhaus in Heringsdorf, woran noch ein Fries am Giebel erinnert. Unübersehbar sind auch die beiden Hochhäuser des Kurhotels, die für den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund der DDR in die Mitte Heringsdorfs gestellt wurden. Karin Lehmann: „Das Bad der Werktätigen – auch daran erinnern sich manche unserer Gäste noch.“
Bevor sie gehen muss, um ihr jüngstes Projekt – den Kinderheilwald – voranzubringen, hat sie noch eine Kosmetik-Idee parat, besonders für Männer: „Die alten Heringsdorfer Fischer haben so glatte Hände. Das verdanken sie bestimmt dem Meerwasser.“
Darum tut der Wald so gut – Ein Besuch im Quetziner Heilwald am Rande von Plau am See

Nördlich von Plau am See liegt der Quetziner Heilwald, der in enger Zusammenarbeit mit Therapeuten des anliegenden Reha-Zentrums entstand. (Bild: STUDIO 301/Andreas Duerst)
Tiefrote Beeren, beigebraune Pilze, zu Boden schwebende Blätter, mächtige Bäume. „Ich lasse mich jedes Mal aufs Neue verzaubern von den vielen reizvollen Dingen, die man entdecken kann“, sagt Katharina Friedrich. Mit ihrer Begeisterung steckt die Physio- und Waldtherapeutin ihre Klientinnen und Klienten an, wenn sie mit ihnen im Quetziner Heilwald am Rande von Plau am See unterwegs ist. Denn der Wald hilft, gesund zu werden und gesund zu bleiben.
Der Schutz von ausgewiesenen Heil- und Kurwäldern ist in MV seit 2011 rechtlich verankert. Damit soll die Gesundheitsfunktion der Wälder stärker für präventive und rehabilitative Zwecke genutzt werden, bestenfalls in Begleitung ausgebildeter Waldtherapeuten und therapeutinnen. Fünf Heil- und Kurwälder gibt es mittlerweile im ganzen Bundesland verteilt, das als Vorreiter für die medizinische Nutzung von Wäldern gilt. Weitere sind bereits in Planung.
„Die Duftstoffe der Bäume und Pflanzen können die Abwehrkräfte stärken und Entzündungen hemmen“, erklärt Katharina Friedrich an einer Wegkreuzung unter den hohen Kiefern, zwischen denen junge Buchen, Ulmen und Birken heranwachsen. „Eine knappe Stunde Waldspaziergang verbessert das Immunsystem deutlich für mehr als zwei Wochen.“ Am besten wirkt der Wald nach dem Regen, „denn da öffnen sich die Poren“.
Wer durch den Wald spaziert, der entspannt sich, allein schon die vielen Grüntöne entfalten eine beruhigende Wirkung – nicht nur auf die Augen. Den Wald erfahren, das kann man auch an einen kräftigen Stamm gelehnt mit geschlossenen Augen, den Geräuschen lauschend. „Und der erdige Geruch von Moos und Laub“, so die Waldtherapeutin, „weckt vielleicht positive Erinnerungen an die Kindheit.“ Solche Achtsamkeitsübungen werden auch bei Depressionen oder beim Burn-out-Syndrom angewandt. Denn manche Eigenschaft des Waldes beugt nicht nur vor, sie hilft auch beim Heilen.
„Der Waldboden ist ideal für die Gelenke“, sagt Katharina Friedrich, „und die Unebenheiten schulen das Gleichgewicht und regen Rezeptoren an den Fußsohlen an.“ Darauf achtet sie, wenn sie mit Patientinnen und Patienten in den Wald geht, die unter neurologischen Erkrankungen leiden. Andere müssen nach einer Operation die Muskulatur aufbauen. Dazu nutzt die Waldtherapeutin für die Übungen zum Beispiel Baumstämme oder größere Steine. „Wir machen im Wald eine Art Ganzkörpertraining. Das ist einfach natürlicher als an den Geräten in der Sporthalle.“ Wobei auch im Heilwald einige Geräte-Stationen aufgebaut sind. Katharina Friedrich: „Und wo lässt sich besser Kondition und Ausdauer trainieren als hier in unserem Heilwald?“ Mehrere Rundwege sind angelegt. Auch wer körperlich beeinträchtigt ist, kann sie bewältigen.
Der Heilwald bei Plau am See ist einer von fünf Kur- und Heilwäldern, die in Mecklenburg-Vorpommern in den vergangenen Jahren ausgewiesen wurden. Sie liegen abseits von Straßenlärm und Industrieabgasen, keine Stromtrasse und keine Mobilfunkantenne ist in der Nähe.
Die Gemeinden müssen regelmäßig nachweisen, dass die Luft arm an Allergenen ist. Der Zutritt steht allen offen.
Um die die Nutzung von Wäldern zu gesundheitlichen Zwecken auch international voranzutreiben, hat die BioCon Valley® GmbH – das Netzwerk der Gesundheitswirtschaft für Mecklenburg-Vorpommern – im Jahr 2021 die „Internationale Zertifizierungsstelle Heilwald“ gestartet. Zentrale Aufgabe ist es, ein international gültiges „Zertifikat Heilwald“ an interessierte Waldbesitzende weltweit zu vergeben. Dazu wurde ein standardisierter Prüfprozess erarbeitet sowie Qualifizierungskriterien festgelegt. Erfüllen die überprüften Wälder die Anforderungen, wird das international gültige „Zertifikat Heilwald“ vergeben.
Katharina Friedrich ist vor einigen Jahren aus Bayern nach Plau am See gekommen, wo sie eine Physiopraxis betreibt. „Meine Familie hat viele Sommerferien auf Rügen verbracht“, erzählt die Physiotherapeutin, „eigentlich habe ich damals schon gemerkt, wie gut mir dieses Land tut.“ Die Müdigkeit und die vom Föhn verursachten Kopfschmerzen seien wie vom Winde verweht. „Hier strömt die Luft beim Atmen frei rein und raus“, schwärmt sie. Ihre neue Heimat Plau am See sei ein „sehr reizvoller Ort mit vielen liebevoll sanierten Backsteinhäusern“. Nein, die Berge vermisst sie nicht. „Ich liebe diese Weite.“ Und den Wald, in dem sie fast jeden Tag joggen geht. „Danach springe ich in den See – einfach herrlich.“
3D-Druck macht wieder mobil – mit Medicare in Neubrandenburg
Bei der Medicare in Neubrandenburg finden sich traditionelle Handwerkskunst und innovative Technologien nur wenige Räume voneinander entfernt unter einem Dach. Seit knapp 30 Jahren produzieren Matthias Heicke und sein Team Prothesen, Orthesen und weitere medizinische Hilfsmittel. „Wir machen mobil“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter, „wir geben unseren Kundinnen und Kunden ein Stück Lebensqualität zurück.“
In der orthopädischen Werkstatt werden nach traditionellen Verfahren Modelle für die Fertigung von Orthesen und Prothesen hergestellt. Sie sind die Basis für die individuelle Herstellung moderner Unterschenkel-, Oberschenkel- und Armprothesen sowie stützender und korrigierender Orthesen. Orthopädietechnikerinnen und -techniker nutzen hierzu moderne Materialien wie Carbonfaser. Das erfordert Fingerspitzengefühl und Maßarbeit. Je genauer gearbeitet wird, desto höher ist die Qualität.
In der sich anschließenden „gläsernen Werkstatt“ hingegen arbeiten 3D-Drucker. Schicht für Schicht wird ein Probeschaft für eine Prothese gefertigt. Hier entstehen auch Prototypen, hier entwickelt Heickes Team neue Produkte. Die gipsfreie Alternative ist für die Patientin oder den Patienten sehr viel angenehmer. Die Maße werden mit einem Scanner aufgenommen, der an ein Tablet angeschlossen ist. Aus den Daten wird die Prothese konstruiert. „Man kann damit auch unfassbar leichte Orthesen bauen“, schwärmt Matthias Heicke.
Als Nächstes will er in einen weiteren Drucker und entsprechende Software investieren. Sein Ziel ist es, Prothesen und Orthesen aus verschiedenen Kunststoffen in einem Verfahren herzustellen. „Eine Prothese soll an bestimmten Stellen sehr stabil sein, an anderen Stellen eher flexibel“, erläutert Matthias Heicke. „Das hinzubekommen, ist mit traditioneller Orthopädietechnik sehr aufwendig.“
Matthias Heicke, auf Rügen geboren, hat Orthopädietechniker von der Pike auf gelernt und später Betriebswirtschaft studiert. 1993 machte er sich mit zwölf Kolleginnen und Kollegen aus der Orthopädiewerkstatt des Bezirkskrankenhauses Neubrandenburg selbstständig. Nach und nach wurde die Medicare mit neun Standorten in der Region erweitert. Heickes Team fertigt auch Korsette und orthopädische Schuhe, verkauft Bandagen, Rollstühle und Pflegebetten. Zu Hause bei den Kundinnen und Kunden kümmern sie sich um die Stoma- oder Wundversorgung.
In diesem Jahr war Medicare Finalist beim Großen Preis des Mittelstandes der Oskar-Patzelt-Stiftung. „Darauf kann unser ganzes Team stolz sein“, findet der Medicare-Chef. Er fühlt sich, so sagt es Matthias Heicke, Neubrandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sehr verbunden, „weil es Heimat für uns ist und wir hier die Chance hatten, etwas aufzubauen“. Mittelständler hätten gute Möglichkeiten, an überbetrieblichen Projekten mitzuarbeiten, sich mit Wissenschaft und Forschung zu vernetzen. Matthias Heicke will das auch für sein nächstes Vorhaben nutzen: „Ich habe noch einige Ideen.“