Gesundheit steckt in der DNA von Mecklenburg-Vorpommern. Das zeigt sich auch in den vielen innovativen Unternehmen, die das Land beheimatet. Sie forschen an neuen Technologien und entwickeln Produkte, die das Leben vieler Menschen schon heute besser machen.
Text: Andreas Frost
Kleine kalte Flamme heilt Wunden – Ein Besuch bei INP in Greifswald
Es sieht aus wie eine bläuliche Flamme, die dünn wie eine Nadel aus der Düse an der Spitze eines silbernen Griffes tritt. Wer den Finger hineinhält, verbrennt sich nicht, sondern spürt kaum mehr als ein Kribbeln. Dennoch bewirkt sie Erstaunliches. Aus der Düse strömt das kalte Plasma des Edelgases Argon. Wird es mit dem Plasma-Jet über eine Wunde gestrichen, geschieht zweierlei: Winzige Bakterien und Pilze sterben ab, das Zellgewebe jedoch wird angeregt, sich zu regenerieren.
„Es klingt paradox, aber es funktioniert“, sagt Prof. Dr. Thomas von Woedtke. Er gehört zum Vorstand des Leibniz-Instituts für Plasmaforschung und Technologie (INP) in Greifswald und leitet den Forschungsschwerpunkt Plasmamedizin. Hier wurden in den vergangenen Jahren die wissenschaftlichen Grundlagen für diese neue Therapiemöglichkeit erforscht. Mit ihr wird inzwischen zum Beispiel Diabetikern geholfen, die an chronischen Wunden leiden.
Das kalte Atmosphärendruckplasma (KAP) entsteht, wenn das Edelgas im Plasma-Jet zwischen zwei Elektroden hindurchfließt und seine Moleküle durch hochfrequenten Wechselstrom angeregt werden. Die zahllosen Plasma-Teilchen reagieren für kurze Zeit mit ihrer Umgebung. „Das Plasma streicht über eine Wunde und verursacht bei den Zellen ‚Stress‘“, erklärt Thomas von Woedtke – sehr vereinfachend – die Wirkung. „Gewebezellen können mit diesem Stress offenbar besser umgehen als Bakterien.“
Die Gesundheitsreportage entstand in Zusammenarbeit mit BioCon Valley. Die BioCon Valley® GmbH ging 2001 aus dem bundesweiten BioRegio-Wettbewerb hervor und versteht sich als Netzwerk der Gesundheitswirtschaft in MV. Insbesondere in Fragen der Vernetzung, Projektbegleitung, Internationalisierung und Vermarktung setzt sich die Initiative des Landes Mecklenburg-Vorpommern ein. Mit über 65 eigenen Fach- und Themenveranstaltungen jährlich stärkt die Landesgesellschaft das Gesundheitsland MV mit seinen 150.000 Arbeitsplätzen und 6.2. Milliarden Euro Umsatz im Gesundheitssektor.
KAP wird schon lange in der Industrie genutzt, um Oberflächen schonend zu reinigen oder zu beschichten. „Die Idee, physikalisches Plasma und die Medizin zusammenzubringen, lag vor gut 15 Jahren für die wissenschaftliche Community in der Luft“, berichtet der Professor für Plasmamedizin, „nicht nur in Greifswald.“ Sie in der alten Hansestadt auch erfolgreich verwirklichen zu können, hatte gute Gründe: „Es gibt hier eine lange Tradition der Plasma- und der Medizin-Forschung.“ Außerdem hätten der Bund und die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns das Vorhaben sehr konzentriert gefördert: „Man hat darauf vertraut, dass wir wissen, was wir tun – und das wussten wir.“
2007 ging ein interdisziplinäres Team aus den Bereichen Medizin, Pharmazie, Biologie, Chemie und Physik am INP ins Rennen. Zwei Jahre später gründete sich das Start-up neoplas med GmbH aus dem Institut heraus. Es entwickelte den weltweit ersten zertifizierten Atmosphärendruck-Plasma-Jet, der als Medizinprodukt zugelassen ist. Im Einsatz ist er etwa im Kompetenzzentrum Diabetes der Klinik Karlsburg, 30 Kilometer südlich von Greifswald, wo er sich im klinischen Alltag bewähren kann.
Prof. von Woedtke und sein Team haben unterdessen die Grundlagenforschung vorangetrieben, um weitere Anwendungsgebiete für das Plasma zu erschließen. Auch wenn die Heilkraft des Plasmas noch nicht bis ins letzte Detail erkundet ist, „ist der Erkenntnisgewinn enorm, auch zu potenziellen Nebenwirkungen“. Zum Beispiel erkunden die Forschenden, wie Plasma auf Viren und auf Krebszellen wirkt. Jüngst konnten sie mit Laborversuchen nachweisen, dass physikalisches Plasma Hepatitis-Viren tötet, die zur Gruppe der Corona-Viren gehören. Und Krebszellen reagieren offenbar „sensibler“ auf eine Plasma-Behandlung als gesunde Zellen. „Diese Forschung steht allerdings noch am Anfang“, dämpft Thomas von Woedtke allzu kühne Erwartungen.
Ypsomed in Schwerin - Ein Pen für den Piks
Ein Schweizer Medizin-Unternehmen hat in Mecklenburg-Vorpommern ausreichend Fläche gefunden, um seine Kapazitäten für einen wachsenden Markt ausweiten zu können. Das Schweriner Werk ist auf dem Weg, die größte Produktionsstätte der weltweit agierenden Ypsomed-Gruppe zu werden.
„Ypsomed ist die führende Entwicklerin und Herstellerin von Injektions- und Infusionssystemen für die Selbstmedikation“, sagt Peter Perler. Er ist Geschäftsführer des Werkes, in dem seit 2019 Infusionssets für Insulinpumpen und sogenannte Pens hergestellt werden. Mit den Pens werden flüssige Medikamente, beispielsweise Insulin, verabreicht. „So ein Pen macht für chronisch kranke Menschen die Selbstbehandlung per Spritze fast so einfach wie das Schlucken einer Pille.“
Der Mechanismus im Inneren der Pens, die äußerlich an große Stifte erinnern, sei nur ein wenig komplizierter als in einem Kugelschreiber, sagt der Diplom-Ingenieur für Mikrotechnik. Wird die Spitze des Pens auf die Haut gesetzt, dringt mittels einer Feder die Nadel ins Gewebe ein. Eine zweite Feder hilft, das Medikament aus einer kleinen Ampulle unter die Haut zu injizieren.
Vollautomatische Spritzgussmaschinen schmelzen Kunststoffgranulat, pressen es in Spritzgießformen und produzieren rund um die Uhr die einzelnen Bauteile. Vollautomatische Montageroboter setzen aus den Einzelteilen die Ypsomed-Pens zusammen. „Wir beschäftigen derzeit 95 Mitarbeitende, darunter sechs Auszubildende“, berichtet Peter Perler. Die Mitarbeitenden überwachen die Maschinen, prüfen die Qualität der Produkte, verpacken sie und bereiten sie für den Versand vor.
Von Schwerin aus werden die Pens weltweit an Pharmaunternehmen geliefert, welche sie mit ihren Medikamenten befüllen. Genutzt werden die Pens vor allem von Diabetikern, um sich Insulin zu verabreichen.
Ypsomed profitiert, laut Peter Perler, von dem Trend, dass immer mehr Medikamente in flüssiger Form verabreicht werden können. Deshalb will das Unternehmen in Schwerin wachsen. Seit 2019 haben jedes Jahr etwa 20 Millionen Pens das Werk verlassen. Derzeit wird in der 180 Meter langen Werkhalle eine weitere Produktionslinie aufgebaut. Eine Erweiterung der bestehenden Produktionshalle ist bereits in Planung. Außerdem hat Peter Perler längst die Pläne für eine zweite Produktionsstätte in der Schublade. Diese soll angrenzend errichtet werden und die Gesamtkapazität auf über 250 Millionen Pens bringen. Es wäre die größte Produktionsstätte des Unternehmens.
Ausreichend Fläche für die Produktion zu haben, war, so Peter Perler, einer der Gründe für Ypsomed, sich in Schwerin anzusiedeln. „In der Schweiz haben sie nirgends so viel Platz. Da könnten wir kaum ebenerdig produzieren, wodurch ja auch viel Energie gespart wird.“ Ein wichtiges Ziel des Unternehmens ist die Erreichung der Klimaneutralität bis 2035.
Für das mittelständische Unternehmen, das in Burgdorf in der Schweiz beheimatet ist, spielte auch die Sprache eine Rolle, als es einen europäischen Standort außerhalb der Schweiz suchte. „Und dann war es halt die Art, wie man uns hier willkommen geheißen hat“, lobt Peter Perler die Wirtschaftsförderung des Landes Mecklenburg-Vorpommerns und der Landeshauptstadt Schwerin
Früher hat Peter Perler in der Schweiz, in Asien und in den USA gearbeitet. An Schwerin gefällt ihm der historische Stadtkern. Außerdem sei die Stadt überschaubar und er kann in einer Viertelstunde zur Arbeit fahren. Als Jugendlicher ist er auf dem Bielersee im Kanton Bern gesegelt. Jetzt freut er sich auf Bootstouren auf dem Schweriner See oder der nahen Ostsee. Die Mecklenburger empfindet Peter Perler übrigens als zurückhaltend – „das passt gut zu uns Schweizern“.
Diaspective Vision in Pepelow – Pioniere im Haus „Seehund“
Während das Wasser des Salzhaffs in der Sonne glitzert und ein Hahn hinter einem Reetdachhaus kräht, wird im Haus „Seehund“ im kleinen Dorf Pepelow Pionierarbeit geleistet. Das Team der Diaspective Vision GmbH entwickelt und baut hier hochkomplexe spektrale Kamerasysteme für den medizinischen Einsatz, „womit Ärzte sehen, was sie mit bloßem Auge nicht erkennen können“, erklärt Geschäftsführer Amadeus Holmer. Auch Dr. Kerstin Abshagen, zuständig für die klinische Anwendung und das Produktmanagement, ist überzeugt davon, dass die spektrale Bildgebung die Medizin entscheidend verändern wird: „Denn Ärztinnen und Ärzte können damit schnellere und bessere Entscheidungen treffen.“
In der ehemaligen Gaststätte wurden früher Einheimische und Sommergäste mit Bier und Fischsuppe verköstigt. Jetzt führt hier das Team um Amadeus Holmer sein Wissen aus Medizin, Chemie, Physik, Elektrotechnik und Informatik zusammen.
Wenn weißes Licht auf Gewebe fällt, wird ein Teil davon auf sehr spezifische Art reflektiert. Die in Pepelow gefertigten Kamerasysteme nutzen diese charakteristische spektrale Signatur von Gewebe- beziehungsweise Blutbestandteilen. Ein System aus Linsen, Spektralgittern, Spektrometern und Sensoren fängt auf kleinstem Raum das reflektierte Licht auf. Die selbst entwickelte Software berechnet daraus detaillierte Gewebeinformationen, die als Falschfarbenbilder auf einem Bildschirm ausgegeben werden.
Die Kamerasysteme können bis zu 100 Wellenlängen des reflektierten Lichts unterscheiden. Ärztinnen und Ärzte schließen daraus zum Beispiel, welches Gewebe gut durchblutet und wie sauerstoffhaltig das Blut ist, wo sich Fett oder Wasser angesammelt haben. All das ist wichtig zu wissen, wenn zum Beispiel eine Wunde heilen, Haut transplantiert, ein Tumor operiert werden soll – oder im Notfall schnell gehandelt werden muss. Amadeus Holmer: „In sechs bis sieben Sekunden liefert die hyperspektrale Kamera ein solches Bild – wenn sie mit einem Endoskop verbunden wird, auch aus dem Inneren des Körpers.“ Seit 2019 ist der führende Endoskop-Hersteller „Karl Storz“ aus Tuttlingen Gesellschafter bei Diaspective Vision.
Amadeus Holmer studierte Elektrotechnik in Rostock und fokussierte sich dabei auf Bildverarbeitung. Die Humanbiologin Kerstin Abshagen promovierte in experimenteller Chirurgie und betrieb jahrelang medizinische Grundlagenforschung, bevor sie zu Diaspective Vision kam. Beide sind Mecklenburger und schätzen es, dort zu leben und zu arbeiten, „wo Andere Urlaub machen“, wie Holmer sagt. Und beide arbeiten, vernetzt mit Hochschulen und Unternehmen, längst schon an neuen Projekten.
Neben dem Haus „Seehund“ steht – dem Charakter des Dorfes angepasst – das neue Firmengebäude „Kegelrobbe“. Alles, was Diaspective Vision in Pepelow an Hard- und Software entwickelt, wird auch vor Ort für den Verkauf montiert, justiert, kalibriert und verpackt. „Es hat mehr von einer Manufaktur als von einer Serienproduktion“, räumt Amadeus Holmer ein. Neben dem hyperspektralen „TIVITA“-Kamerasystem wird derzeit das Kamerasystem „MALYNA“ für multispektrale Bildgebung entwickelt. Statt einzelner Bilder liefert es ein Live-Video, wodurch den Ärztinnen und Ärzten während eines Eingriffes kontinuierlich die Durchblutung der Organe dargestellt wird. Amadeus Holmer und Kerstin Abshagen haben sich dabei ein ambitioniertes Ziel gesetzt. Kerstin Abshagen: „Wir wollen das Medical Spectral Imaging als Diagnose-unterstützendes Standardverfahren im klinischen Alltag etablieren.“