Jubiläum: Die Nationalen Naturlandschaften werden 30
Mecklenburg-Vorpommern feiert in diesem Jahr seinen 30. Geburtstag. Doch nicht nur das Bundesland darf feiern, auch sein wohl wertvollster Schatz: Das „Tafelsilber der Deutschen Einheit“, wie Klaus Töpfer es einst nannte, wird 30. Der damalige Bundesumweltminister sprach von den Nationalen Naturlandschaften, vom Beginn des gemeinsamen Naturschutzes im wiedervereinigten Deutschland. Kommen Sie mit uns: Wir zeigen Ihnen einige dieser wunderschönen Landstriche in MV.
Text von Marieke Sobiech
Von Adlern und Autoren
Naturpark Feldberger Seenlandschaft
Kristallklare Seen, weite Wälder auf hügeligem Gebiet und urige Dörfer prägen die Feldberger Seenlandschaft. Auf sandigen Ebenen wachsen Kiefern; versteckte Moore, sumpfige Wiesen und üppige Weiden sind zudem vielfältiger Lebensraum. Fischotter und Biber sind hier zu Hause, ebenso wie der seltene Schreiadler. Zum Naturpark gehört auch der älteste Buchenwald Deutschlands, in dem manch majestätischer Baum 350 Jahre alt ist: „Die Heiligen Hallen“ verdanken ihren Namen den hohen Baumstämmen, die an gotische Kirchbauten erinnern. Das eiszeitlich geprägte Areal im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte ist ein Sehnsuchtsort für Menschen, die sich vom Wasser magisch angezogen fühlen und Ruhe finden wollen.
Kein Wunder, dass der Schriftsteller Hans Fallada hier Ruhe und Inspiration suchte. Der berühmteste Bewohner der Feldberger Seenlandschaft – mit bürgerlichem Namen Rudolf Ditzen – schuf sich ein Refugium in Carwitz, einem abgelegenen Ort am Carwitzer See. Das idyllische Anwesen, das Fallada 1933 nach dem Erfolg seines sozialkritischen Romans „Kleiner Mann, was nun?“ erworben hatte, ist heute ein Museum.
Elf Jahre lang war das Haus Lebensmittelpunkt der Falladas – vielleicht die glücklichste und produktivste Zeit des Autors. Heute bieten die Museumsräume, ausgestattet mit originalgetreuem Mobiliar, spannende Einblicke in Falladas Schaffenswelt. Und so scheint es beim Betreten seines rekonstruierten Arbeitszimmers, als hätte der Autor den Schreibtisch nur ganz kurz verlassen, um nach seinen Bienen zu sehen.
Tipp: Vor der Veranda des Hauses bezaubert das originalgetreu bepflanzte Dreiecksbeet, das früher von Falladas Ehefrau Anna gepflegt wurde. Vor Ort oder im Online-Shop kann man die Samen für den eigenen Garten erwerben: Die Zusammenstellung enthält u. a. Saatgut von Klatschmohn, Margerite, Rittersporn, Malve, Glocken- und Kornblume. Das sieht nicht nur schön aus, sondern unterstützt die Artenvielfalt vor der eigenen Tür, weil viele dieser Pflanzen wertvolle Pollen für Insekten enthalten.
Kranichzug und Elfenkunst
UNESCO-Biosphärenreservat Schaalsee
Zwei Bundesländer teilen sich den Schaalsee: Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Das Biosphärenreservat weist eine abwechslungsreiche Landschaft auf: imposante Alleen und schmale Feldwege, rauschende Wälder mit Buchen, Erlen und Eschen, weite Ackerflächen und saftige Weiden, Sümpfe und Moore. Und im Mittelpunkt der rund 24 Quadratkilometer große Schaalsee, der dem Gebiet seinen Namen gab. An seiner tiefsten Stelle misst das Gewässer 71 Meter. Rekord unter den Seen Norddeutschlands.
Mitten im UNESCO-Biosphärenreservat lebt Ines Bargholz seit fast 30 Jahren. Kopfsteinpflaster führt in den Ortskern von Neuenkirchen bei Zarrentin am Schaalsee. Das versteckte Dorf trumpft mit seiner backsteinernen Kirche auf – der ältesten Westmecklenburgs. Gleich nebenan duckt sich die Elfenschule von Ines Bargholz. Die gelernte Porzellanmalerin hat das reetgedeckte Haus kurz nach der Wende mit neuem Leben erfüllt. Hier sind Atelier und Werkstatt untergebracht, hier können Feriengäste im verwunschenen Garten oder auf „Gefühlten Wanderungen“ entschleunigen und in Kursen neue Inspirationsquellen finden. Vor allem aber will Ines Bargholz Besucherinnen und Besucher an die Kräfte der Natur erinnern und das „kleine Volk vom Schaalsee“ sichtbar machen: die Elfen, Feen, Kobolde und Naturgeister. Dass es diese hier gibt, davon ist die Künstlerin überzeugt. Nahezu täglich durchstreift sie die Gegend rund um den Neuenkirchener See auf der Suche nach Material für ihre Elfenkunst. Mithilfe einer 100 Jahre alten Buchbinderpresse erschafft sie aus Blüten, Blättern, Farnen und Gräsern filigrane, fantasievolle Bilder.
Tipp: Jedes Jahr im Herbst sammeln sich Tausende Kraniche im Schaalsee-Gebiet, um von hier aus weiter gen Süden in ihr Winterquartier zu ziehen. Auch in der Neuenkirchener Niederung rasten die Vögel des Glücks gern. Der „Kranichkieker“, eine Beobachtungsplattform, ermöglicht geschützte Einblicke in das renaturierte Niedermoorgebiet, das mit zahlreichen Amphibien-, Libellen- und Brutvogelarten eine hohe Vielfalt aufweist.
Kultur und Kontraste
Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft
Wohl niemand wird sich der Magie dieser „Wildnis am Meer“ entziehen können. Die Küsten des Meeresnationalparks sind in ständiger Bewegung. Wenn sich die Wellen der Ostsee mit unbändiger Wucht an den Strand werfen, formen sie mit dem Sand neue, unstete Inselwelten. Im Kontrast dazu schaukelt das Wasser sanft in den ausgedehnten Lagunen der Ostsee – einzigartiges Markenzeichen der Vorpommerschen Boddenlandschaft, die sich von der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst bis zur Westküste Rügens erstreckt.
Die unglaubliche Natur mit kilometerlangen Stränden, romantischen Windflüchtern in den Dünen, naturnahen Wäldern, mit Salzgras- und Moorland zieht schon seit Langem Erholungssuchende, Aussteiger und Künstlerinnen und Künstler in ihren Bann. Gerade das frühere Fischerdorf Ahrenshoop – faszinierend schön gelegen im westlichen Eingangsbereich des heutigen Nationalparks – lockte vor fast 130 Jahren die ersten Landschaftsmalerinnen und -maler an. Als der aus Oldenburg stammende Künstler Paul Müller-Kaempff mit seinem Kollegen Oskar Frenzel den idyllischen Ort entdeckte, ließ er sich hier nieder und gründete die Künstlerkolonie Ahrenshoop. Die Spuren Müller-Kaempffs sind bis heute präsent: Seine einstige Malschule ist nun als Künstlerhaus Lukas weit über die Landesgrenzen bekannt, seine Werke finden sich im hiesigen Kunstmuseum wieder. Überhaupt steht Ahrenshoop noch immer unter dem Eindruck der Kunstschaffenden. Zahlreiche Galerien, Ausstellungen und Ateliers verbinden auch heute noch Kultur und Natur.
Tipp: Reetgedeckte Katen, getaucht in strahlende Farben, bunte Reihen hölzerner Bootshäuser, reizende Bauerngärten vor Strandkorbkulisse – und mittendrin ein bauliches Meisterwerk im Bronzegewand, das der Historie seines Standorts huldigt. Das neue Kunstmuseum Ahrenshoop begeistert mit zeitgemäßer Museumsarchitektur, integriert in den ländlichen Bautypus der Region. Hunderte Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern aus der Region – von der Gründergeneration bis zur Gegenwart – umfasst die Sammlung. Sie ist das Resultat bürgerlichen Engagements. Vor 15 Jahren gründeten Freunde und Förderer einen Verein und entwickelten ein Museumskonzept. Ziel: die Identität der einstigen Künstlerkolonie zu bewahren. Das ist ihnen gelungen.
Hügelketten und andere Schmuckstücke
Naturpark Mecklenburgische Schweiz und Kummerower See
Wer glaubt, Mecklenburg böte vornehmlich Panoramablicke über flaches Land, war vermutlich noch nicht zu Gast in der Mecklenburgischen Schweiz. Diese eiszeitlich geprägte Landschaft mutet mit Höhenunterschieden von mehr als 100 Metern fast wie ein Mittelgebirge an. Das bewegte Relief hat den Malchiner und den Kummerower See hervorgebracht. Beide Gewässer gehören zum Naturpark, ebenso wie das Peenetal mit seinen Torfstichen, Talmooren und Bächen. Typisch für dieses kulturlandschaftliche Areal sind die Hecken, Feldgehölze, Sölle und uralten Eichen. Noch größer wird der Zeitsprung dank der Burgwälle, der Großstein- und Hügelgräber, die Besucherinnen und Besucher bis in die mittlere Steinzeit zurückführen.
Während soeben noch die imposanten Hügelketten ins Staunen versetzt haben, trumpft das Gebiet im Herzen Mecklenburgs mit weiteren Schmuckstücken auf: Wohin das Auge blickt, säumen Gutshäuser, Schlösser und Kirchen, oftmals umgeben von prachtvollen Parkanlagen, den Weg. Ein solch beeindruckendes Bauwerk ist auch die Kloster- und Schlossanlage Dargun. Bereits im 12. Jahrhundert wurde hier von Zisterziensermönchen der Grundstein gelegt für das bald kulturell und wirtschaftlich bedeutende Kloster. Nach seiner Blütezeit ließen es die Herzöge von Mecklenburg-Güstrow zum Schloss umbauen. Doch 400 Jahre später, in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs, wurde der gesamte Komplex durch einen tragischen Brand zerstört. Die Ruinen – längst denkmalgeschützt – werden nunmehr seit 1991 gesichert und restauriert. Die historischen Mauern sind beeindruckende Kulisse für Veranstaltungen und Konzerte, zum Beispiel der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern.
Tipp: Durch das Land reisen – und das auf umweltfreundliche und nachhaltige Art? Auf einer Fahrt mit der Fahrrad-Draisine geht’s raus aus der Klosterstadt Dargun und rein in die Natur. Vorbei an Wiesen, Wäldern und Seen führt der Weg über die stillgelegten Gleise. Ziel ist der Erlebnisbahnhof Neukalen. Die etwa 17 Kilometer lange Strecke, die mit reiner Muskelkraft bewältigt werden muss, sollte niemand unterschätzen. Doch auf der abwechslungsreichen Tour gibt es genügend Möglichkeiten, eine Pause einzulegen.
Naturpark Mecklenburgische Schweiz
Blaues Blut und blaues Wasser
Müritz-Nationalpark
Die mecklenburgische Seenplatte heißt so, weil sie genau das ist: eine Landschaft aus unzähligen kleinen und großen, versteckten und offenen tiefblauen Gewässern. Verbunden durch Kanäle bilden sie das größte zusammenhängende Seengebiet Europas. In der Mitte beeindruckt die Müritz. Die slawische Bezeichnung „kleines Meer“ lässt die Dimensionen von Deutschlands größtem Binnensee erahnen. Das Gewässer, entstanden während der letzten Eiszeit, ist auch Namensgeber des Müritz-Nationalparks. Auf einer Fläche von 322 Quadratkilometern erstrecken sich hier weite Wälder, Moore, Wiesen, Röhrichte und – natürlich – Seen.
Ein Großteil des Nationalparks gehört zur historisch bedeutsamen Kulturregion Mecklenburg-Strelitz, bis 1918 Heimat des gleichnamigen Herzogtums. Auf einer vorgelagerten Insel inmitten der Abgeschiedenheit der Kleinstadt Mirow ließen die mecklenburgischen Monarchen ein Schloss als Witwensitz errichten. Gut 300 Jahre ist das her. Heute ist das Mirower Schloss das einzig verbliebene Zeugnis großherzoglicher Wohnkultur in Mecklenburg-Strelitz. Frisch herausgeputzt, restauriert und ausgestattet mit einer sehenswerten multimedialen Ausstellung erzählt es von früheren Zeiten und damaligen Bewohnerinnen. Die berühmteste unter ihnen war Sophie Charlotte, Herzogin zu Mecklenburg-Strelitz. Durch ihre Heirat mit Regent Georg III. wurde sie Königin von Großbritannien und Irland. Die emigrierte Mirowerin brachte ihr Geburtshaus zu weltweiter Bekanntheit. Ihre Spuren lassen sich noch immer finden, zum Beispiel in den USA. Hier wurde die amerikanische Großstadt Charlotte in Mecklenburg County, einem Landkreis in North Carolina, nach „unserer“ Queen Charlotte benannt.
Tipp: Das „Land der 1000 Seen“ lässt sich natürlich am besten auf dem Wasser erkunden. Nirgends ist man dem magischen Element näher als während eines Hausbooturlaubs. Hier beginnt der Morgen mit einem Kaffee auf der sanft schaukelnden Terrasse. Die gemächlichen Tagestouren auf Flüssen und Seen bieten üppig-wilde Naturkulissen, lustige Schleusenabenteuer und immer wieder Erfrischung beim Sprung von Bord ins kühle Nass. Für das kulturelle Sightseeing kann oftmals zentral in den Stadthäfen und Marinas festgemacht werden. So auch in Mirow: Hier ankern Freizeitkapitäne direkt an der romantischen Schlossinsel.