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Kitesurfen für Gehörlose

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Zwei Kiterinnen gründeten auf der Insel Ummanz die erste Kiteschule Deutschlands, die Kurse in Gebärdensprache anbietet.

Autorin: Janet Lindemann

Gehörlos und Kitesurfen – das scheint unvorstellbar. Doch Pia Boni und Marie Kohlen von der Firma DeafVentures haben sich auf Kitesurf-Kurse für Gehörlose spezialisiert. Auf der Insel Ummanz westlich von der Insel Rügen befindet sich nicht nur der Sitz ihrer Kite-Schule, der Spot ist auch das größte Stehrevier Deutschlands. Inzwischen gibt es für ihre Kurse lange Wartelisten.

Auf einem Board über das Wasser gleiten, gezogen von einem riesigen Lenkdrachen, den Wind spüren und für einen kurzen Augenblick durch die Luft gleiten – Kiten löst bei vielen Menschen ein Gefühl von Freiheit aus. Für Gehörlose muss das kein Traum bleiben. Denn auf der kleinen Insel Ummanz westlich vor Rügen gibt es eine Surfschule, die Wassersport-Camps für Gehörlose und Gebärdensprachnutzende anbietet.

Es ist immer besser, wenn der Unterricht von Muttersprachler zu Muttersprachler erfolgt.

Pia Boni

Zwei Freundinnen hatten die Idee

Die Idee hatten zwei Freundinnen: Pia Boni, Kitesurf-Lehrerin, und Marie Kohlen, leidenschaftliche Kitesurferin und Gebärdensprachdolmetscherin. Kennengelernt haben sich die beiden 2016 im Kite-Urlaub auf Sri Lanka. Ein Jahr später trafen sie sich in der Tiki Bar des Rügener Surfhostels auf der Insel Ummanz wieder, auch Ummaii (eine Wortkreation aus Ummanz und Hawaii) genannt. Für die beiden jungen Frauen ist es der perfekte Hotspot zum Kiten: Die Umgebung ist naturbelassen, das Wasser flach und an keinem Ort der Insel geht die Sonne schöner unter. 2017 hatten Pia und Marie die Idee, DeafVentures zu gründen und machten sich gleich an die Umsetzung. Denn eine Kite-Schule, die auch Kurse in Gebärdensprache anbietet, gab es noch nicht. Der englische Begriff deaf bedeutet übrigens taub.

Tricks beim Kiten werden bei den Aufsteigerkursen vermittelt.

Kiten löst bei vielen Menschen ein Gefühl von Freiheit aus.

Nach fünf Tagen Kite-Kurs erstmals alleine über den Schaproder Bodden kiten.

Pia und Marie entwickelten Fachgebärden

Die Freundinnen entwickelten Gebärden für Kite-Fachbegriffe. 2018 führten sie die ersten Test-Camps durch. In diesen wurden die Begriffe buchstabiert und die Fachgebärden weiterentwickelt. Die Nachfrage nach den Camps war sehr hoch. Durch Fördermittel von Land(Auf)schwung für die Region Vorpommern-Rügen konnten zwei Wassersportbegeisterte zu VDWS-Kitesurf-Lehrern ausgebildet werden: Konstantin, selbstständiger Physiotherapeut und gehörlos, und Patrick, IT-Berater und gehörlos. Die beiden sind nun als international anerkannte Kitesurf-Lehrer Teil des Teams und mit Gehörlosen, hauptsächlich auf Ummanz, aber in Zukunft auch weltweit unterwegs. „Ein Dolmetscher ist so gesehen auch ein Störfaktor. Es ist immer besser, wenn der Unterricht von Muttersprachler zu Muttersprachler erfolgt“, betont Pia Boni, sichtlich stolz auf die beiden. Sie selbst beherrscht einige Grundlagen der Gebärdensprache.

Zeigen und erklären funktionieren nur abwechselnd

„Anders als bei Hörenden, können Zeigen und Erklären bei Gehörlosen nicht parallel stattfinden. Das geht nur abwechselnd“, sagt Pia Boni, die seit 2019 auch auf Ummanz lebt. Darum rät sie ihren Schülerinnen und Schülern maximal drei Achten mit dem Kite zu fliegen und dann wieder Blickkontakt aufzunehmen.
Kurse für Anfängerinnen und Anfänger sowie erfahrene Kiterinnen und Kiter finden zwischen Mai und September zu festen Terminen statt. „Die Verständigung erfolgt ausschließlich in deutscher Gebärdensprache“, sagt Pia Boni. International gibt es da große Unterschiede. Nach dem Kennenlernen werden Ausrüstung und Windverhältnisse gecheckt. Ist der Wind beispielsweise ablandig, könnten Kitesurfer Richtung Hiddensee getrieben werden. Das wäre gefährlich. Auch der Umgang mit der Surf-Ausrüstung ist wichtig. Bei viel Wind wird ein kleiner Kite benötigt, bei wenig Wind ein großer. Sind diese grundlegenden Aufgaben erledigt, werden die Lenkdrachen aufgepumpt und erste Kitesurf-Versuche auf dem Wasser unternommen. Das geschieht am besten schon am ersten Tag.

Anders als bei Hörenden, können Zeigen und Erklären bei Gehörlosen nicht parallel stattfinden. Das geht nur abwechselnd.

Pia Boni

Kurse auch im Ausland

DeafVentures-Mitgründerin Pia Boni mit ihrem Board am Kite-Spot auf der Insel Ummanz.

Nach fünf Tagen sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer so fit sein, dass sie den Traum vom Kitesurfen ohne Hilfe leben können. Das heißt, erst einmal alleine über den Schaproder Bodden gleiten. Tricks beim Kiten werden bei den Aufsteigerkursen vermittelt. Welcher Hotspot der nächste sein wird, darüber wird bei den Pizza-Abenden in der Tiki Bar gesprochen. Portugal, Indonesien? „Wenn es in Deutschland zu kalt zum Kiten geworden ist, geht es ins Ausland“, erklärt Pia Boni. Übrigens: Auch Menschen ohne Beeinträchtigung dürfen mit. Voraussetzung ist, sie sprechen die Gebärdensprache.

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