Text: Andreas Frost
Das moderne flache Gebäude wirkt unscheinbar und würde in keiner Stadt auffallen. Doch es steht zwischen dem markanten Wasserturm und der Backsteinkirche in Neverin. Rund 80 Frauen und Männer sitzen darin an ihren Computern und schreiben Programme, die die Clausohm-Software GmbH in der Region und in der ganzen Welt verkauft. Die Internet-Verkaufsplattformen eines großen deutschen Automobilherstellers werden nicht in München oder Berlin betreut, sondern von Neverin aus, einem Dorf zwölf Kilometer nördlich von Neubrandenburg. Software aus Mecklenburg-Vorpommern ist ebenso am Werk, wenn nachts die E-Roller einer Großstadt im Rheinland aufgeladen werden.
„Die Software, die wir entwickeln, ist breit einsetzbar und vor allem leicht zu bedienen“, erläutert Carina Clausohm. Sie ist Projektleiterin in dem Unternehmen ihrer Eltern. Was in Neverin ausgetüftelt wird, soll Abläufe – egal ob im Handel oder bei der Automation von Produktionsprozessen – „steuern, überwachen und Fehlerraten senken“. Außerdem berät die Firma Unternehmen in der Region, wenn es um Cyber Security geht. „Wenn etwas passiert ist, wird darüber ungern geredet“, so Carina Clausohm. „Viele Unternehmer wissen gar nicht, auf welchen Wegen Viren in ihre Firmennetze eindringen können“. Aufgrund der Corona-Pandemie hat die Arbeit im Homeoffice stark zugenommen, „deshalb sind wir sehr viel mehr im Internet unterwegs. Das birgt zusätzliche Risiken“.
Bei ihren Kunden hat Carina Clausohm immer häufiger mit Frauen zu tun. Sie räumt jedoch ein, dass das Programmieren immer noch eine von Männern beherrschte Domäne ist. Für sie ist das kein Problem, „aber manchmal muss ich mich auch durchsetzen.“
In diese Welt der Computer ist Carina Clausohm von Kindesbeinen an hineingewachsen. Ihre Eltern haben das Unternehmen 1990 gegründet – in ihrer Garage und einem Kellerraum in Neverin. Carina Clausohm erinnert sich an die ersten drei Mitarbeiter, denen sie als Kind von ihrer Torte abgab, wenn sie Geburtstag hatte. Bald stand auch ein Computer zu Hause in der Küche. Die Großmutter brachte ihr bei, wie man mit dem Grafikprogramm Corel Draw Einladungskarten gestaltet. Carina spielte „Lemminge“ und ähnliche Spieleklassiker, fing an, eigene Websites zu entwerfen.
„Nach dem Abitur musste ich erst einmal raus.“ In Berlin hat sie erst Mediengestaltung für Design und Print studiert. Daran schloss sie ein Studium für Informatik und Wirtschaft an, weil sie ausreichend gewappnet sein wollte – für das, was sie sich vorgenommen hat. Einerseits stand für sie außer Zweifel, dass sie nach Mecklenburg-Vorpommern zurückwollte. „Ich liebe die Stille, die gern mal von einem krähenden Hahn oder einem knatternden Trecker unterbrochen werden kann. Und IT kann ich überall machen, auch in Neverin.“ Das Dorf ist klein, aber lebendig. Es gibt einen Sportplatz, eine Kirche, einen Arzt, ein Lebensmittelgeschäft, einen Bürgerpark und einen engagierten Bürgermeister, wie Carina Clausohm sagt. „Und ein Glasfasernetz fürs schnelle Internet.“
Nicht nur die Liebe zur Heimat lockte sie zurück nach Neverin. Carina Clausohm will zusammen mit ihrem Bruder die Firma ihrer Eltern Schritt für Schritt übernehmen. Die ersten Aufgaben in der Geschäftsleitung hat sie bereits übernommen. Vorbild ist für sie ihre Mutter, Katharina Clausohm, die seit der Firmengründung das Organisatorische in der Hand hatte. Von ihrem Vater hat sie offenbar die Freude am Programmieren mitbekommen. Eigentlich gute Voraussetzungen, um in dem Metier zu bestehen und das Unternehmen „unabhängig vom Geschlecht der Chefs und unabhängig von der geografischen Lage weiterzuentwickeln“ - in Neverin, einem lebendigen Dorf bei Neubrandenburg.
2020 war Katharina Clausohm „Frau des Jahres".