Sie ackern für eine verantwortungsbewusste Landwirtschaft, sie tüfteln an nachhaltigen Verpackungslösungen. Sie malen ihre Heimat bunt und brachten auch in schwierigen Zeiten Menschen zum Tanzen. Gemeinsam eint sie ein Gedanke: Sie wollen die Welt verbessern und haben dabei ihr Glück in MV gefunden.
Text von Christine Gerhard
Das Handy begrüßt uns in Polen, dabei befinden wir uns noch auf der deutschen Seite der Grenze, in einer der am dünnsten besiedelten Regionen Deutschlands. In dem kleinen Dorf namens Rothenklempenow am östlichsten Rand Mecklenburg-Vorpommerns wohnt Pablo Melotta. Auf dem „Weltacker“, einer nachhaltigen Anbaufläche mit Freilichtausstellung, steckt er die gerade gelieferten Infotafeln in den Boden. Der Absolvent der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde im Fachbereich Landschaftsnutzung und Naturschutz war zuletzt viel unterwegs, lebte auch im Ausland. In der kleinen, ländlichen Gemeinde Anschluss zu finden, fiel ihm deshalb nicht schwer.
Über die Autorin
Christine Gerhard zog 2019 für ihr Volontariat beim „Nordkurier“ von Mainz nach Neubrandenburg, später nach Greifswald. Sie liebt an MV die Seen und Felder, die ehrwürdigen Alleen und natürlich die freundlichen Menschen mit all ihren Geschichten.
„Wir haben hier eine coole Mischung aus Alteingesessenen, die viele Geschichten zu erzählen haben, Rückkehrern und neuen Leuten“, beschreibt er die Dorfgemeinschaft. Besonders mit den beiden anderen Teilnehmern des Residenzprogramms, mit denen er sich eine WG im Schloss teilt, ist er in den vergangenen Monaten eng zusammengewachsen. Ihre Projektzeit läuft zwar bald aus, doch alle haben ihren Aufenthalt verlängert.
Pablo will die „vielen schönen Seen“, auf denen er im Winter Schlittschuh gelaufen ist, auch im Sommer genießen und dann auch die Früchte seiner Arbeit ernten: Auf dem „Weltacker“ hat er die Ausstellung erweitert und eine Jugendfreizeit geplant. Denn der Weltacker soll mehr und mehr auch zu einem Bildungs- und Erlebnisort werden, an dem junge Leute Bewusstsein für nachhaltige Bodennutzung säen.
Pablo kann sich gut vorstellen, auch längerfristig die Zelte nicht abzubrechen. Nach Berlin will der 30-Jährige jedenfalls nicht zurück. Er brauche Platz, um sich zu entfalten, Raum, den er selbst mitgestalten kann. „Die Großstadt ist kein Ort, an dem man sich verwirklichen kann, wenn man nicht gerade sehr viel Geld hat“, erklärt er. In Rothenklempenow hat der Hobbymusiker ein eigenes Studio mit Blick auf den Schlosspark. Klar, in der Großstadt sei mehr los, aber das vermisse er nicht. „Dafür hat man hier eine intensivere Verbindung zu seinen Aktivitäten“, findet Pablo. Er lebe sie bewusster, weil man selbst dafür sorgen müsse, dass etwas los sei. Dabei beteiligt sich Pablo gerne. „Ich habe Lust, einen eigenen Ort zu gestalten, wo ich arbeite und wohne“, sagt Pablo. „Ich brauche den Platz und einen Zugang zum Garten.“
Den hat er zwar noch nicht, dafür den Weltacker und den dazugehörigen Betrieb, von dem sich die Residenzler ernähren. Für die Entwicklung der Landwirtschaft kann die Region am Rande Deutschlands eine Vorreiterrolle spielen, ist sich Pablo sicher: „Der ländliche Raum hat viel Potenzial als Bildungsort, um zu zeigen, wie Landwirtschaft anders betrieben werden kann, und sie zu optimieren.“
Gekommen, um zu bleiben
Nachhaltigkeit ist auch für Maren Schümann ein Motor. Nach ihrem Studium mit umwelttechnischem Bezug arbeitete die Ingenieurin eine Zeit lang für eine Firma, die Kreuzfahrtschiffe ausstattet. Zu ihrem ökologischen Anspruch passte das nicht, auch deshalb brach sie zu neuen Ufern auf, ohne hohe Erwartungen.
„Ich hätte nie gedacht, dass es so einfach sein könnte, eine Arbeit zu finden, bei der der Aufgabenbereich passt und ich zugleich hinter dem Produkt stehe“, sagt sie. Sie fand sie in Rostock bei der Firma Yamaton, die mit ihren voll recycelbaren Verpackungslösungen aus Pappe umweltfreundliche Alternativen zu Styropor anbietet.
Als Managerin in der Produktentwicklung und Projektdurchführung tüftelt Maren daran, dass alle möglichen Waren, darunter auch sensible Messgeräte, sicher ankommen. Ihre Verpackungslösungen testet sie in sogenannten Falltests. Maren liebt die Herausforderung. „Ich kann hier jeden Tag vor eine Aufgabe gestellt werden, mit der ich noch nie zu tun hatte“, erklärt die Leiterin der Musterbauabteilung. „Das bereitet mir einerseits Respekt, andererseits ist es spannend, weil man querdenken und mit verschiedenen Menschen kommunizieren muss.“ Obwohl sie ihre Stelle erst im Februar angetreten hat, fühlt sie sich in ihrer Firma dabei mindestens so gut aufgehoben wie die Waren in der Wabenverpackung. „Mit der Geschäftsführung kann man immer sprechen, die Türen sind ständig offen“, sagt sie, „insgesamt ist die Atmosphäre sehr familiär.“
Nicht zuletzt die Familie war es, die die aus dem Ruhrgebiet stammende Maren im vergangenen Jahr von Dresden nach Mecklenburg-Vorpommern ziehen ließ. Hier hat die junge Familie Anker geworfen, hier will sie bleiben. So wie es ihr eine Rostockerin „prophezeit“ hatte, als sie sich die potenzielle neue Heimat im November 2020 anschauten. „Sie sagte, wenn sich jemand im November Rostock anguckt und dafür entscheidet, dann bleibt er“, erinnert sich Maren schmunzelnd.
Woher die fast sprichwörtliche Verschlossenheit der Norddeutschen kommt, kann sie überhaupt nicht verstehen. Sie sei sehr freundlich aufgenommen worden, die Rostockerinnen und Rostocker seien freundlich und kommunikativ. „Ich wohne noch kein Jahr hier und bin schon angekommen“, sagt die Ingenieurin über ihren neuen Heimathafen, für den sie sich ganz bewusst entschieden hat. „Die Stadt hat die richtige Größe und eine Uni, was sie belebt. Und ich habe hier das Wasser vor der Tür.“ Mit dem Fahrrad fährt die Familie gerade mal eine knappe Stunde bis zur Wasserkante. Die Mischung aus Aktivität und Entspannung gefällt auch dem zweijährigen Sohn. „Wenn wir angekommen sind, legt er sich sofort hin und badet im Sand“, erzählt Maren. Das Wasser sei ihm, anders als der Mama, nie zu kalt.
Spuren hinterlassen
Am Greifswalder Bodden machen die Künstlerinnen und Künstler des Vereins Urban Art ihre Heimat bunter. Statt DDR-Grau gibt es hier farbige Wände, mal knallig und laut, mal nachdenklich, mal ironisch.
Zum Urban Art-Festival in der letzten Juliwoche sollen Künstler und Künstlerinnen aus ganz Deutschland nach Greifswald kommen und ebenfalls ihre Spuren hinterlassen, etwa auf einer neu gebauten Turnhalle. Dabei kann ihnen, anders als in anderen Kunstformen, jeder zuschauen. Weil „Urban Art“ aber mehr ist als Graffiti, stehen zudem Kreidekunst und Gebäudebeleuchtungen auf dem Programm, es gibt Wettbewerbe, Filmvorführungen und Diskussionsrunden. Kern aber ist die „Stadtkunst“.
Die Freiflächen, an denen sich die Vereinsmitglieder das ganze Jahr über verwirklichen können, hat der Vorsitzende Steffen „Steff“ Wikner erkämpft. Die Werke darauf, häufig mit aktuellen Bezügen, sind nicht dauerhaft, dafür aber für jeden sichtbar. Die Offenheit ist es, die Steff an der urbanen Kunst reizt. „Sie braucht keine Normen, keine Menschen, die sie bewerten, keine Galeristen“, sagt er. Das große Geld und der große Name sind nicht nötig, um sich mit „Urban Art“ Gehör zu verschaffen. „Du kannst allen alles sagen, überall und direkt ins Gesicht“, erklärt Steff. Für den 19-jährigen Gabriel Timm, der sich von aktuellen Debatten in den sozialen Medien inspirieren lässt, bedeutet das Freiheit. „So wie andere spazieren gehen, male ich“, erklärt er. „Das hilft mir, außerdem ist das Malen ein Erlebnis und man trifft interessante Leute.“ Viele Werke entstehen in der Gemeinschaft, dabei ist die urbane Kunst laut Gabriel „viel aktiver“ als das Malen auf einem DIN-A3-Papier. Also ein bisschen wie gemeinsamer Sport? Er lacht. „Kann man so sagen.“
Und so hat der Verein auch einen sozialen Anspruch, will Menschen helfen. Bei den Workshops werden viele Jugendliche aufgefangen, erklärt Steff. Hier können sie eine Weile abtauchen vom Alltag, finden Ruhe und Frieden im Malen. Dabei erzeugten sie positive Energie, sagt er. Erst vor Kurzem organisierte er auch einen Workshop für Migrantinnen und Migranten. Mauern gegen Sprachbarrieren.
Studieren, wo andere Urlaub machen
Mauern sollen auch Studierende an der Fachhochschule Güstrow überwinden. „Die Lehrer legen Wert darauf, dass wir auch um die Ecke denken und andere Sichtweisen annehmen“, erklärt Jasmin Binder, die sich in Güstrow zur Polizistin ausbilden lässt.
Für die Studentin geht in der mecklenburgischen Stadt ein Traum in Erfüllung. Seit der Mittelstufe will sie Polizistin werden, doch dann kam eine komplizierte Sportverletzung dazwischen. Während Jasmin eine Ausbildung und ein anderes Studium absolvierte, verheilten die Kreuzbandrisse. „Da dachte ich, ich versuche es noch mal“, sagt Jasmin. Sie versuchte es in Güstrow und hat ihre Entscheidung nicht bereut. „Ich mag Schlösser und Burgen und war gleich total angetan, als ich das erste Mal durch Güstrow gelaufen bin und das superschöne Schloss gesehen habe“, erinnert sie sich. In der Vergangenheit steckt die Stadt trotz der alten Gemäuer offenbar nicht fest. An ihrer Hochschule spürt Jasmin ein großes Interesse, „in neue Richtungen zu denken“ und auch technologisch mitzuhalten. Bereits bei dem anspruchsvollen Bewerbungsverfahren ahnte Jasmin, dass das Studium in Güstrow niveauvoll werden würde. Das habe sich bestätigt.
Doch nicht nur wegen der Hochschule hat sich die aus Schleswig-Holstein stammende Polizeianwärterin für Mecklenburg-Vorpommern entschieden. Ein Flächenland sollte es sein, denn vor der Polizeiarbeit in einer Großstadt habe sie Respekt gehabt, noch dazu die Mieten. „Hier ist es lebenswert. Es war mir wichtig, im Norden an der Küste zu bleiben und da zu studieren, wo andere Urlaub machen“, sagt die 28-Jährige. Allem voran aber habe sie das Gefühl gehabt, dass sich Polizei und Familie hier gut vereinbaren lassen. Jasmins Entscheidung für einen Studienort war eine langfristige, denn als Polizistin ist es nicht einfach, nach der Ausbildung das Bundesland zu wechseln. Angst vor Langeweile hat Jasmin deshalb aber nicht. „Ich glaube, dass es noch viele schöne Ecken hier zu entdecken gibt“, sagt sie.