Ein Dorfspaziergang durch Dambeck
Wer über den bewaldeten „Sandberg“ fährt, ahnt wohl kaum, dass genau hier die Hauptwasserscheide zwischen Ost- und Nordsee verläuft. Sieht man ja nicht. Stattdessen erblickt man das kleine Dorf Dambeck, idyllisch gelegen zwischen Schwerin und Wismar. Vorausgesetzt, der Morgennebel, der fast mystisch aus den umliegenden Seen und Mooren emporsteigt, hüllt nicht gerade die Häuser, Gärten und Menschen ein.
Text von Marieke Sobiech
Es ist Herbstbeginn. Auf den Feldern rund um Dambeck sammeln sich Hunderte Kraniche. Besucher staunen ob dieses Szenarios, für die Dambecker ist das ein gewohnter Anblick. Die majestätischen „Vögel des Glücks“ picken hier lautstark die Erntereste auf und stärken sich für den weiten Flug in ihr Winterquartier.
Dambeck zählt etwas mehr als 200 Einwohner. Das Dorf gehört zur Gemeinde Bobitz im Landkreis Nordwestmecklenburg, die mit 18 Ortsteilen – manche größer, die meisten kleiner als Dambeck – und 65 Quadratkilometern flächenmäßig in der oberen Liga von Deutschland spielt. Den Ortseingang des hübschen Dorfes flankieren Felder, die mal Raps, mal Mais, mal Weizen tragen. Wie zur freundlichen Begrüßung der Ankommenden zaubern angrenzende Blühstreifen bunte Tupfer in die Landschaft – eigens angelegt, um Schmetterlingen, Wildbienen und Co. ein reichhaltiges Buffet anzubieten. Auch Vögel und Fledermäuse sind in Dambeck willkommen. Davon zeugt das stillgelegte Trafohäuschen gegenüber, das für die Tiere umgebaut wurde. Direkt nebenan hat die Töpferei seit fast 40 Jahren ihren Sitz. Eine Art Urgestein im Ort, das niemals schließen darf, heißt doch die kleine Stichstraße in Richtung See „Töpferweg“. Folgt man diesem, sind bald Kinderstimmen aus der jüngst eröffneten Natur- und Waldkita zu hören. Entstanden durch privates Engagement können die Kinder aus Dambeck und Umgebung nun die Tage draußen verbringen, umgeben von Wiesen, Obststräuchern, Nutzgarten – und bei ungemütlichem Wetter in der bunten Schutzhütte.
Naturschatz vor der Haustür
Dicht dran an der Natur ist auch Rico Giese. Der 50-Jährige ist im Nachbardorf aufgewachsen und seit einigen Jahren als ehrenamtlicher Naturschutzwart für die Dambecker Seen verantwortlich. Das Naturschutzgebiet ist ein Eldorado für Wasservögel und bei Ornithologen überregional bekannt. Mindestens einmal in der Woche ist Rico Giese vor Ort. Das Ehrenamt verbindet er mit seinem Hobby: Vögel beobachten und fotografieren. Im alten VW-Bus transportiert er Kameraausrüstung, Tarnzelt und seit Neuestem auch einen Ganzkörper-Tarnanzug aus künstlichen Laubblättern. Ein irres Kostüm, erst recht, wenn es diesen groß gewachsenen Mann bekleidet, und vielleicht insgeheim eine Hommage an Rico Gieses Festreden beim Bobitzer Fasching.
Neulich erst hat der Naturschützer während eines Vortrags die Anwohnerinnen und Anwohner mit Erzählungen über den Naturschatz vor ihrer Haustür begeistert. Der Veranstaltungsort, die Dambecker Pfarrscheune, konnte nach aufwendiger Sanierung vor Kurzem wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das reetgedeckte Fachwerkhaus wird seitdem rege genutzt – für Kinoabende, Lesungen, Kaffeeklatsch, Seniorentreffen und Kleidertauschbörsen. Die Hausherrin, Pastorin Daniela Raatz, hält ihre Schäfchen zusammen, dabei sind hier die wenigsten gläubig, zumindest nicht im klassischen Sinn. Doch in ihre Kirche, einen spätgotischen Ziegelbau aus dem 14. Jahrhundert, kommen die Menschen nicht nur an Weihnachten.
„Ich habe mich in die Natur verliebt“ - Drei Fragen an Rico Giese
Sehnsucht nach Ostsee, Weite und Natur
Überhaupt: Dass die Dambecker gern zusammenfinden, ist weithin bekannt. Prominentestes Beispiel ist das alljährliche Sommerfest rund um den Strohkaten in der Ortsmitte. Auf dem Gelände der ehemaligen Dorfkneipe wurde immer schon legendär mit Schauspiel, Ständen und Konzerten gefeiert. Menschen planten extra Urlaub ein und verschoben Termine, um dabei sein zu können.
Wenn das nächste Sommerfest stattfindet, hat es Antje Habeck nicht weit. Sie wohnt mit ihren drei Kindern direkt neben dem Strohkaten. Zehn Jahre lebte die gebürtige Ludwigslusterin in Berlin. Doch im Sommer 2019 packte sie die Sachen und zog mit ihrer Familie nach Dambeck. Schon lange hatte sie die Sehnsucht nach der Heimat, nach Ostsee, Weite, Natur umgetrieben. In Dambeck saniert sie nun Stück für Stück ein altes Backsteinhaus und gestaltet den großen Garten in eine naturnahe Oase um. Hühner und Gänse laufen frei herum, die Kaninchen besuchen auch gern einmal die Nachbarn. Ihr vierjähriger Sohn geht – am liebsten barfuß – in die Natur- und Waldkita, seine größeren Schwestern können ihn dort hinbringen oder abholen. Antje Habeck ist angekommen. Nach ihrem Studium an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde arbeitet sie nun für den Landesverband Erneuerbare Energien MV. Am liebsten aus dem Homeoffice, mit Blick in den Garten, gesteht sie augenzwinkernd. Und sie ist wieder in die Kirche eingetreten. Pastorin Raatz ist daran vermutlich nicht ganz unschuldig.
Für Lohn, Brot und Foto
Landwirtschaft spielte schon immer eine große Rolle in der Region. Mehrere Bauern aus Dambeck und Umgebung „beackern“ seit Generationen die umliegenden Felder. In der Ferne steht die alte Holländermühle, in der früher das Korn verarbeitet wurde. Statt gemahlen wird hier nun gemalt. Ein Künstler hat sich in der Mühle Atelier und Wohnung eingerichtet. Zu DDR-Zeiten bezog hier auch Fotograf Wolf Spillner Quartier, der von der Region rund um Dambeck so fasziniert war, dass er ihr gleich mehrere Bücher widmete. Der Bildband „Land unter dem Wind“ ist Spillners wohl bekanntestes Werk. Und tatsächlich hat der Wind in der flachen Gegend oft leichtes Spiel und rüttelt kräftig an Bäumen und Fensterläden. Nur die Mühlenflügel bewegen sich schon seit den 1960er Jahren nicht mehr vom Fleck. Stattdessen sorgen heute die modernen „Windmühlen“ am Horizont für grüne Energie.
Die Landschaft um Dambeck mit ihren urigen Bauernhäusern, der abwechslungsreichen Natur, dem rauen Wind und imposanten Sonnenaufgängen zog oft schon kreative Menschen an. In den 1970er Jahren wurde hier die Künstlerkolonie Drispeth gegründet. Christa und Gerhard Wolf, Werner Lindemann, Helga Schubert oder Joachim Seyppel hätte man damals mit dem Fahrrad von Dambeck aus in wenigen Minuten besuchen können. Der „DichterGarten“ und der Kulturradweg „Schweriner See – Ostseestrand“ erinnern an diese vergangene Zeit.
„Hier fängt mein zweites Leben an“
Am Abend, wenn Kathi Krtschil nach Hause fährt, freut sie sich auf ihre Familie und ihre Pferde. Die Tiere sind der Ausgleich zum Büroalltag, dann fange ihr zweites Leben an, sagt sie. Vor fast 20 Jahren haben sie und ihr Mann ein Grundstück in Dambeck gekauft, für Pferde, Haus und Hof. Nach einem Jahrzehnt in Neumünster lag es der gebürtigen Wismarerin am Herzen, dass die zwei Töchter in ihrer Heimat Mecklenburg-Vorpommern aufwachsen.
Als kaufmännische Leiterin und Prokuristin bei einem Luftwärmepumpen-Hersteller hat Kathi Krtschil beruflich viel um die Ohren. Dennoch engagiert sie sich seit 2009 ehrenamtlich in der Kommunalpolitik. Nachbarn hatten sie auf die Idee gebracht. Schließlich ist sie bekannt dafür, dort mitzuhelfen, wo sie gebraucht wird. Jüngst wurde der neue Spielplatz in Dambeck eingeweiht, für den auch sie sich in der Gemeindevertretung eingesetzt hat. In ihrer Freizeit gibt sie zudem als ehrenamtliche Trainerin die Leidenschaft fürs Reiten weiter. Eine Lieblingsstrecke im Sattel führt von Dambeck bis auf den Sandberg. Mit Blick auf ihr Zuhause.