Autorin: Juliane Fuchs
Zwischen Rügen, Hiddensee und dem Festland belebt Mathias Schilling alte Warenrouten wieder und gibt den Hiddenseer Küstenfischern neuen Auftrieb.
„Anfangs wussten wir nicht, wovon wir leben sollen“, sagt Mathias Schilling. Im Jahr 2006 hat der Landwirt, der aus Schleswig-Holstein kommt, mit seiner Frau Nicolle die Insel Öhe von seinen Eltern übernommen. Aber von vorn.
Die flache Insel zwischen Rügen, Hiddensee und dem Festland ist seit 700 Jahren im Familienbesitz. Die Großeltern von Mathias lebten hier. Sein Vater ist zu DDR-Zeiten über die Ostsee in den Westen geflohen. Seine Großmutter Wera hat die Privatinsel durch den Strudel sozialistischer Zeiten gesteuert. Der Enkel wuchs in Schleswig-Holstein auf, verbrachte die Sommerferien bei seiner Großmutter auf dem Eiland, lebte einige Jahre in Berlin. Mathias machte eine Ausbildung zum Hotelfachmann im Hotel InterContinental Berlin und studierte Agrarwissenschaften an der Humboldt-Universität, bevor es ihn mit Nicolle auf die Insel Öhe zog.
Ich könnte die Insel verkaufen, um mir eine eigene Insel zu kaufen. Aber ich hab ja schon eine. Also blieben wir hier.
Mathias Schilling
Das Paradies auf der Privatinsel erweist sich in den ersten Jahren als kräftezehrendes Abenteuer. Der Landwirt will von den Schätzen der Insel leben können und der Region etwas zurückgeben.
Fast täglich steht Mathias am Ufer von Öhe, schaut übers Wasser nach Schaprode. Der wenige Ruderschläge entfernte Gasthof mutet an wie ein Brückenkopf in die Welt. „Ich möchte dort andocken, dort mitmachen“, denkt Mathias oft. Doch erst mal beginnt der Landwirt im Jahr 2009 eine Mutterkuhhaltung – er will deutschlandweit exklusives Salzwiesenfleisch vertreiben. Nur Weidemast, keine Zufütterung. Die Mutterkühe Kringel und Esel begründen die Zucht.
Werte schöpfen und Kreisläufe schließen
Zwei Jahre später übernimmt der Hotelfachmann den Gastronomiebetrieb in Schaprode. In den folgenden Jahren wächst die Schilling GmbH & Co. KG und umfasst bald fünf Restaurants, ein Gästehaus, einen Imbiss, drei Hofläden, ein Fisch- und ein Konservengeschäft. Die Standorte reichen von Schaprode auf Rügen über Kloster und Vitte auf Hiddensee bis nach Stralsund auf dem Festland.
Der Landwirt beackert mittlerweile mehr als 500 Hektar auf Hiddensee und Rügen. Mathias möchte Werte schöpfen und Kreisläufe schließen. Was sein Betrieb erwirtschaftet, wird in den eigenen Niederlassungen vermarktet. Er bezieht Partner aus der Region ein, schafft mehr als 50 Jobs.
Das Glück der Anderen ist mein Schatz, wenn ich Menschen an schönen Orten leckeres Essen, hochwertige Produkte und eine Perspektive gebe.
Mathias Schilling
Ein Herz für Hering und Hornfisch
Mit seinen Warenwegen belebt Mathias Schilling alte Handelsrouten zwischen Inseln und Festland neu. Einst landeten die Hiddenseer Fischer ihre Fänge in Schaprode an. Doch Fische wie den Hering, das Silber der Ostsee, gibt es längst nicht mehr in großen Schwärmen. Als mit eingeschränkten Fangquoten die Marktchancen weiter sinken, gründet Mathias 2016 mit den Fischern den Verein „Hiddenseer Küstenfisch“.
Seitdem gelangen die kleinen Fänge jenseits der großen Schleppnetze nach Stralsund in die Schwaaner Fischwaren GmbH und von dort in Dose und Glas.
Eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung in Bergen auf Rügen etikettiert die Ware. Das Marketing und ein regelmäßig stattfindender Fisch- und Wollmarkt in Schaprode stärken die nachhaltige Kutterfischerei rund um Hiddensee. Der Dosenfisch liegt als Botschafter der Küstenfischer in diversen Delikatess-Regalen wie denen des KaDeWe Berlin und der Mutterland GmbH Hamburg.
Mit unserer harten Arbeit haben wir die anfänglichen Vorurteile der Einheimischen überwunden. In der Region ist viel Platz für Pioniergeist und die Umsetzung von Ideen.
Mathias Schilling
Den touristischen Markt mit regionalen Produkten verflechten
Die Schillings fühlen sich auf ihrem historischen Gutshof umgeben von Salzwiesen mittlerweile wie auf einer Schatzinsel. Ob er reich ist? „Reich ist mit der Insel Öhe noch niemand geworden“, sagt Mathias. Er fühlt sich bereichert – nicht durch Geld, sondern durch die Region, Gleichgesinnte wie die Küstenfischer und Schätze wie Rinder, Schafe und Wasserbüffel.
„Wir brauchten einen langen Atem. Mittlerweile fließt die Energie in die richtige Richtung“, sagt „der Schilling“, wie ihn die Einheimischen inzwischen nennen.
Die Schatzinsel Öhe
Ritter Marquard von der Wisch, nachweislich Vorfahre von Mathias Schilling, zog im Jahr 1254 auf die Insel Öhe. Zwei Jahrhunderte später begann mit Curt von der Öhe die Stammreihe der Inselbesitzer, denen das Eiland bis heute gehört. 1822 heiratete der Naturforscher Wilhelm Schilling in die Familie ein. Seine Töchter Adelaide und Laurette haben auf Öhe einen bis heute erhaltenen Park nach englischem Vorbild angelegt und verfügt, dass auf der Insel kein Baum gefällt werden darf. Daran hält sich Mathias Schilling bis heute, der die Insel 2006 von seinen Eltern übernahm.