Beitrag von Michael H. Max Ragwitz
Vom kulinarischen Nordosten erwartet man Köstlichkeiten, die der eher maritim-ländlich geprägten Region zwischen Elbe und Stettiner Haff, auf den Inseln oder an der Seenplatte entspringen. Im Fokus steht zunehmend der Aspekt von Nachhaltigkeit und Tierwohl. Gefragt ist gesunde wie natürliche Raffinesse auf dem Teller.
Genuss ist Veränderung unterworfen. Das gilt im Besonderen auch für die Entwicklung kulinarischer Angebote. Dass dabei der Nordosten keine Ausnahme bildet, versteht sich von selbst. Die Gäste wollen sich geschmacklich mit dem Land identifizieren und es im besten Sinne des Wortes über den Gaumen kennenlernen. Angesichts des Klimawandels, der Anforderungen an gesunde Ernährung und von Notwendigkeiten aus den Erfahrungen der Corona-Pandemie werden überall in MV gastronomisch-kulinarische Konzepte kreativ auf den Prüfstand gestellt.
Fisch als kulinarisches Markenzeichen
Im Südosten der Insel Usedom betreiben Carolin und René Bobzin seit 2015 das Gasthaus „Bauernstube Morgenitz“. Das äußerlich eher unscheinbare Haus bietet in den Gasträumen ein rustikal-gemütliches Ambiente und vor allem eine Karte mit traditioneller Fischküche.
War anfangs auch Fleisch im Angebot, haben sich Bobzins auch dank der ebenso charmanten wie selbstbewussten Beharrlichkeit der Gastgeberin ausschließlich auf Fisch spezialisiert. Carolin Bobzin: „Auslöser für diese Entscheidung war unser erster ganzer Zander, den wir aufgetischt haben. So wurde die Idee geboren, nur komplette Fische anzubieten.“ Die werden von René Bobzin, einem Koch mit Sterne-Erfahrung, natürlich und meisterhaft zubereitet und in einer großen Pfanne von ihm persönlich an den Tisch gebracht. Die Gastgeberin bietet dazu eine anspruchsvolle Weinbegleitung und hat so manche Empfehlung parat, wie man Fisch von A wie Aal über L wie Lachs bis Z wie Zander geschmacklich trefflich kombiniert.
Kreativ in Szene gesetzte Natur
Knapp 100 Straßenkilometer landeinwärts bietet das Team um Torsten Räth in zwei Restaurants des ****Hotels „Bornmühle“ eine vorzügliche Küche, die kulinarische Klassiker modern interpretiert. Der Küchendirektor zählt zu den besten Köchen des Landes und ist immerhin seit 30 Jahren in dem Haus am Tollensesee nahe Neubrandenburg. Sein Anspruch ist es, Produkte aller Art mit verschiedenen Texturen variantenreich aufzutischen. Er setzt dabei immer stärker auf den Aspekt von Nachhaltigkeit und ernährungsbewusster Gesundheit. Seine stark vegetarisch geprägten Gerichte und Menüs können wahlweise natürlich mit Fleischanteilen kombiniert werden. Den Anspruch an die Küche des Hauses verbindet der Koch mit den Begriffen „Regionalität, Saisonalität und Kreativität“. Torsten Räth: „Der Gast von heute isst bewusster als vor 30 Jahren. Die Qualität der Produkte hat Vorrang. Und die ist aus regionalen Ressourcen besonders prägend. In diesem Sinne ist bei uns das Produkt der Star auf dem Teller. Das ist zwar nichts Neues, aber konsequent.
Kontinuität schafft Vertrauen
In der durchaus beachtlichen Gourmet-Szene im Nordosten ist Daniel Schmidthaler längst kein Unbekannter mehr. Der gebürtige Österreicher betreibt mit seiner aus Mecklenburg stammenden Frau Nicole seit 2010 das Hotel „Alte Schule“ in Fürstenhagen bei Feldberg. Bereits zwei Jahre später wurde seinem Restaurant „Klassenzimmer“ der in der Branche begehrte Michelin-Stern verliehen. Er zählt neben weiteren Spitzenköchen aus Mecklenburg-Vorpommern wie Ronny Siewert und André Münch zu den ersten Anwärtern auf einen zweiten Stern. Trotz allen Anspruchs an Gourmet-Küche bleibt Schmidthaler seiner kulinarischen Philosophie treu: „Ich setze kulinarisch auf variantenreiche Beständigkeit und immer konsequenter auf den regionalen Aspekt der von uns verarbeiteten Produkte. Dem eher plakativen Bio-Begriff kann ich nicht wirklich viel abringen. Saison ist für mich per se „Bio“, zumal ich ja weiß, woher die Produkte stammen. Und wenn Tomaten keine Saison haben, werden sie bei uns auch nicht verarbeitet. Punkt.“ Schmidthaler, assistiert von seiner Frau als charmante, fachlich versierte Gastgeberin, setzt ebenfalls zunehmend auf den vegetarischen Ansatz seiner Menüs, vor allem aber auf raffiniert kombinierten Genuss in lässig-entspannter Atmosphäre, den auch junge Gäste zunehmend zu schätzen wissen.
Die süße Seite des Nordostens
Geschmacklich von einer ganz anderen Seite präsentieren Iveta Kilianová und Ciarán Seán Close ihr Land Mecklenburg-Vorpommern. Die Tschechin und der Ire betreiben in Waren an der Müritz eine Schokoladen-Manufaktur, deren Produkte bereits mit vielen internationalen Auszeichnungen prämiert wurden.
Aktuell planen sie nicht nur neue Geschmacksnoten in ihren Spezialitäten, mittelfristig wollen sie auch ein breites Sortiment für die Gastronomie anbieten und arbeiten dafür bereits mit Spitzenhäusern in MV zusammen. „Unsere Produkte kommen zunehmend gut an, sind sie doch von erstklassiger Qualität der Zutaten und handwerklich perfekter Produktion geprägt“, meint Iveta Kilianová. Mehr noch: Man plane, so die beiden Chocolatiers, ein aufwendiges Projekt mit monatlich wechselnden heimischen Wildkräutern, die sie zu raffiniert-geschmackvollen Pralinen verarbeiten. Das bedarf, so Close, einer längeren Entwicklung: „Aber das Ergebnis wird überwältigend sein.“
MV steht weiter für guten Geschmack
Das Fazit für den „Genuss der Zukunft“ in MV ist schnell gezogen: Das Land wird auch weiterhin, je nach Ausrichtung der gastronomischen Angebote, viel Geschmack bieten. Die Anbietenden werden sich aber noch stärker darauf konzentrieren, den Wünschen der Gäste in Bezug auf Regionalität, Nachhaltigkeit, gesunde Ernährung und Tierwohl zu entsprechen und das qualitativ auf hohem Niveau umzusetzen. Das Land bietet also mit seiner Ursprünglichkeit, seinen natürlichen Ressourcen und der kulinarischen Kreativität der Köchinnen und Köche beste Voraussetzungen dafür, dass in MV auch in Zukunft vielseitig und schmackhaft aufgetischt wird.
Ausführliche Interviews mit den drei Küchenchefs dieses Beitrags gibt es auch auf dem Portal:
Rezept:
Fischkartoffeln nach Art der Bauernstube Morgenitz
Deftige Fischtüften werden an der Küste auf verschiedenste Weise zubereitet. Küchenchef René Bobzin von der Bauernstube in Morgenitz im idyllischen Achterland auf Usedom weiß, dass die Kartoffeln in seiner Umgebung nahezu von jedem etwas anders gekocht werden. Seine Art, Fischkartoffeln aufzutischen, erklärt er so:
Zunächst stellen Sie einen Sud aus Petersilien- und Dillstielen, Zwiebeln, Schalen von Petersilienwurzeln und Pastinaken her. Dazu wird das Gemüse mit Wasser bedeckt, mit Meersalz, geröstetem Dillsamen, Nelken, Piment, Wacholder, Lorbeer, Pfeffer- und Senfkörnern sowie Fenchelsamen gewürzt und alles etwa eine halbe Stunde geköchelt.
Danach werden ein Teil Zwiebel- und zwei Teile Petersilienwurzel-Würfel, alternativ Pastinaken, und drei Teile Würfel von mehligkochenden Kartoffeln mit dem passierten Sud bedeckt. Dazu kommen nochmals Lorbeerblätter und etwas Meersalz. Alles etwa eine halbe Stunde kochen lassen und sodann mit einem Kartoffelstampfer unter Zugabe von Butter grob anstampfen. Vor dem Servieren werden die Kartoffeln noch großzügig mit frischem, geschnittenem Dill bestreut.
Damit kann man natürlich Fisch aller Art, aber auch würzig-gebratene Jagdwurst, Bierschinken oder heiße Knacker kombinieren und mit Gurkensalat servieren.