Autor: Andreas Frost
An der Unimedizin in Greifswald wird die Demenz in vielen ihrer Facetten und Auswirkungen erforscht. Die Neurologin Prof. Agnes Flöel ist zuversichtlich, dass der Krankheit auf lange Sicht der Schrecken genommen werden kann.
Erst lässt einen das Gedächtnis ab und an in Stich, dann wird es immer schwieriger, den Alltag zu bewältigen, irgendwann ändert sich die Persönlichkeit. Eine Demenz sei für alle, für die Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen ein absolut gravierender Einschnitt in ihre Leben, sagt Agnes Flöel. Dennoch hat die Professorin für den Umgang mit dieser Krankheit eine interessante Botschaft: Schon jetzt wären 40 Prozent der Demenzerkrankungen vielleicht zu verhindern gewesen, wenn Lebensstilfaktoren wie regelmäßige Bewegung oder der Verzicht aufs Rauchen eingehalten, und Gefäßrisikofaktoren wie Bluthochdruck oder Diabetes (noch) konsequenter behandelt worden wären. Ein echter Ansporn für die Prävention.
Auch die anderen 60 Prozent sind für die Direktorin der Klinik für Neurologie an der Universitätsmedizin Greifswald keine per se hoffnungslosen Fälle: „Nur dazu wissen wir noch nicht genug.“ Deshalb wird in Greifswald auf einem weiten Feld geforscht: Prävention, Frühdiagnostik, Therapie und die Versorgung der Erkrankten gehören dazu.
Riskante Verhaltensweisen schleifen sich ein
Demenz, am häufigsten aufgrund der Alzheimer-Krankheit, aber auch als Folge eines Schlaganfalls, gilt inzwischen als Volkskrankheit. Sie verursacht, so Agnes Flöel, volkswirtschaftlich enorme Kosten. Und sie betrifft gerade im Bereich Prävention auch junge Menschen, „denn oft schleifen sich riskante Verhaltensweisen ein, die sich mit zunehmendem Alter schwieriger ändern lassen“.
Wer an Bluthochdruck, Übergewicht oder Diabetes leidet, wer zu viel trinkt oder raucht, für den steigt die Gefahr, an Demenz zu erkranken. Manches davon ist vermeidbar. Weitere Risikofaktoren sind Depressionen, Einsamkeit, Luftverschmutzung und mangelnde Bewegung – geistig wie körperlich.
Die therapeutische Wirkung des Tiefschlafs
Relativ neu ist die Erkenntnis, so die Demenz-Forscherin, dass ein gesunder Schlaf, insbesondere auch der Tiefschlaf, so wichtig ist. Sein genereller Einfluss auf die Gesundheit ist lange bekannt. Inzwischen hat die Wissenschaft einen zusätzlichen Effekt herausgefunden. Während der Tiefschlafphase wird “Müll” aus dem Gehirn ausgespült und abtransportiert. “Dazu gehören zum Beispiel fehlgefaltete Eiweiße”, erklärt die Neurologin, „sie verklumpen und lagern sich im Gehirn ab“. Alzheimer-Patienten sind davon betroffen.
Einen ähnlichen Effekt erforschen Agnes Flöel und ihr Team auf dem Gebiet der Kalorien-Restriktion. „Wenn der Körper am Tag nur 1200 bis 1800 Kalorien zugeführt bekommt, signalisiert ein Impuls dem Gehirn: Achtung, Knappheit! Dann werden Reserven in den Zellen angeknabbert.“ Das setze ebenfalls einen wichtigen Reinigungsprozess in Gang. Damit eine Kalorien-Restriktion nicht zu Mangelernährung führt oder wenn sie schlicht nicht möglich ist, sucht Agnes Flöel nach Substanzen, insbesondere Nahrungsergänzungsmitteln, die im Gehirn denselben Effekt auslösen sollen. Hier gibt es erste positive Signale, insgesamt ist dieser Ansatz aber noch auf Studien beschränkt.
Strom stimuliert das Gehirn
In Sachen Demenz gibt es offenbar noch so manche Stellschraube, die justiert werden könnte. An der Greifswalder Unimedizin gehört dazu die nicht-invasive Hirnstimulation. In klinischen Studien bekommen gesunde Probanden wie auch Erkrankte kleine Elektroden an den Kopf gelegt. Diese stimulieren das Gehirn durch Gleich- oder Wechselstrom, der durch die Schädeldecke hindurchfließt. Die Stimulation soll helfen, das Lernen zu unterstützen, und Bereiche des Gehirns zu reaktivieren, die geschädigt wurden oder durch eine Krankheit nicht mehr optimal zusammenarbeiten. Bei Patienten mit kognitiven Störungen laufen kleinere Studien weltweit und auch in Greifswald, bei Schlaganfallpatienten wird die Methode bereits in großen multizentrischen Studien erprobt.
Greifswald ist eine hervorragende Umgebung für meine Forschungsthemen.
Agnes Flöel
Agnes Flöel ist vor sieben Jahren von der renommierten Berliner Charitè nach Greifswald gekommen. Sie hat die Vision, einen „umfassenden präventiven Ansatz im Bereich Demenz und Schlaganfall zu entwickeln, der breit umgesetzt wird“. Greifswald sei „eine hervorragende Umgebung für meine Forschungsthemen“. Der demografische Wandel sei hier sogar ein Vorteil, sagt sie. „Wir können hier schon jetzt an Lösungen arbeiten, für das, was in der übrigen Republik in 20 Jahren ansteht.“
Für den wissenschaftlichen Nachwuchs hat Agnes Flöel unterdessen einen klaren Rat parat: Worum es beim Thema Gehirn auch immer geht - „kognitive Neurologie ist extrem spannend“.
Kognitive Neurologie ist extrem spannend.
Agnes Flöel
Teil eines Forschungs-Netzwerks
Die Demenz-Forschung an den Universitäten Greifswald und Rostock ist als ein Standort in das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) eingebunden. Das Forschungsinstitut hat zum Ziel, neuartige Strategien der Vorsorge, Diagnose, Versorgung und Behandlung zu entwickeln und in die Praxis zu überführen. Es ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung.
1,8 Millionen in Deutschland
2021 lebten lebten laut Schätzungen, so das DZNE, in Deutschland fast 1,8 Millionen Menschen im Alter ab 40 Jahren mit Demenz. In der Altersgruppe ab 65 Jahren waren es nahezu 1,7 Millionen. Gemäß Prognosen könnte die Anzahl der Betroffenen im Alter ab 65 Jahren im Jahr 2050 bis zu 2,8 Millionen erreichen.
Mehr Frauen als Männer
Rund zwei Drittel aller Menschen mit Demenz sind Frauen. Das ist nach Angaben der Greifswalder Demenz-Forscherin Prof. Agnes Flöel nicht auf Unterschiede im Gehirn zurückzuführen. Demenz ist vor allem eine altersbedingte Krankheit und im Durchschnitt würden Frauen im Durchschnitt älter als Männer.
Kosten der Demenz
Berechnungen des DZNE beziffern die Kosten für Demenz in Deutschland für das Jahr 2020 mit rund 83 Milliarden Euro, das entspricht mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Diese „gesamtgesellschaftlichen Kosten“ beinhalten demnach sowohl die Kosten der Kranken- und Pflegekassen als auch die Kosten der „informellen“ Pflege, die insbesondere durch Angehörige geleistet wird.