Autorin: Dörte Rahming
Diese Fabrik wäre ein Paradies für Kinder: Schlösser und Drachen gibt es hier, Dinos und Krokodile, Einhörner und Zauberer – allesamt süß und lecker. Bei Sweet Tec in Boizenburg laufen jeden Tag Bonbons und Bärchen, Fruchtgummis und Lutscher von den Bändern – seit knapp 20 Jahren.
Fruchtig duftet es überall, aber in jeder Halle anders. Rund um die Uhr werden die süßen Versuchungen auf Spezialmaschinen produziert. Die Produktpalette ist extrabreit: Bonbons von Eukalyptus bis Karamell, dazu Lutscher, Kaubonbons und mehr als 200 Sorten Fruchtgummis. Unvorstellbare 90 Millionen Stück kommen jeden Tag zusammen. Allein die Bonbon-Wickelmaschine verpackt 1.200 Stück pro Minute.
Hier ist der Traum von Oliver Schindler wahr geworden. „Ich bin mit Bonbons im Mund aufgewachsen“, sagt der 58-Jährige und lacht. Seine Familie besaß eine Bonbonfabrik, aber die Unternehmensnachfolge scheiterte. Also gründete er vor ziemlich genau 20 Jahren seine eigene. „Mich hat dieses Marktsegment immer gereizt, ich habe die Zukunft im Bereich der Eigenmarken gesehen.“ Dabei sei eine besonders effiziente Produktion wichtig. „Denn gerade Discounter wollen bestmögliche Qualität für wenig Geld anbieten. Deshalb haben wir zum Beispiel schon von Anfang an natürliche Aromen und Farben verwendet, als andere erst anfingen, darüber nachzudenken.“
Ich bin mit Bonbons im Mund aufgewachsen.
Oliver Schindler
Der Unternehmer stammt aus Karlsruhe und wollte mit seiner Firma unbedingt in Deutschland bleiben. Mit dem EU-Programm „Aufbau Ost“ wurden damals Ansiedlungen vor allem in den neuen Bundesländern gefördert. So begann er an der Elbe mit dem Unternehmen Toffee Tec, kaum zwei Jahre später kam Sweet Tec hinzu. Inzwischen gehören vier Firmen zur „Bonbonfabrik“, wie die Gruppe in der Region genannt wird. Denn alle haben mit Süßwaren zu tun.
Zeitgemäße Produkte
Größter Abnehmer ist die Supermarktkette Lidl, der drittgrößte Discounter in Europa und inzwischen auch in den USA vertreten. Auch bei Kaufland und in Drogerien sind Produkte aus Boizenburg zu finden. „Denn wir produzieren mit Ragolds eine eigene Marke und unter Lizenzen zum Beispiel Süßwaren für Minions oder PAW Patrol“, erklärt Sonja Schindler, die hier unter anderem für die Organisationsentwicklung zuständig ist. Besonders beliebt sind saure Apfel- und Pfirsichringe. „Die werden europaweit genascht“, lacht die 48-Jährige.
Die Produktentwicklung geht mit der Zeit: Während Bonbons generell vegan sind, wurden inzwischen auch Fruchtgummis ohne tierische Zutaten entwickelt. Und Toffees werden zum Beispiel mit Kokosmilch statt mit Milchpulver hergestellt. In Boizenburg gibt es ein eigenes Werk für die Produktion veganer Süßigkeiten. „Mittlerweile ist die Nachfrage so groß, dass wir neu investieren wollen.“
Weitere Ideen für die nähere Zukunft sind Bonbons mit Vitamin-Zusätzen oder Fruchtgummis mit Nahrungsergänzungsmitteln. „Das wäre gerade für Kinder gut, die zusätzliches Vitamin D benötigen“, sagt Sonja Schindler.
Besonders beliebt sind saure Apfel- und Pfirsichringe. Die werden europaweit genascht.
Sonja Schindler
Eigene Akademie gegen den Fachkräftemangel
Insgesamt sind derzeit etwa 700 Menschen in den Unternehmen der Gruppe beschäftigt, darunter Süßwarentechnologen und Fachleute für Lebensmitteltechnik, Techniker und Elektroniker. Zurzeit werden pro Monat 20 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt. Dennoch ist der Fachkräftemangel auch in Boizenburg ein Thema. Deshalb hat Schindler vor einigen Jahren zusammen mit weiteren Unternehmen in der Region die Food Academy gegründet. „Wir wollen die Gewinnung von Fachkräften in Unternehmen begleiten, die Willkommenskultur in der Stadt und der Region befördern. Und wir wollen die Weiterqualifizierung in der Lebensmittelbranche fördern.“
Langjährige Erfahrung in Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit spielt in Boizenburg schon lange eine Rolle: Toffee Tec ist bereits CO2-neutral, Sweet Tec soll folgen. „Wir benötigen viel Energie, decken unseren Bedarf aber mit grünem Strom und Gas ab“, sagt Oliver Schindler. Regionale Produkte einzusetzen, sei dagegen nur begrenzt möglich. „Wir verarbeiten hauptsächlich Zucker und Glukose – dafür gibt es deutsche Anbieter, aber eben keine Bauern aus der Gegend, mit denen wir zusammenarbeiten könnten.“
Familien, Fußball, Frühstück
Familien bekommen bei Sweet Tec besondere Aufmerksamkeit. „Hier gibt es viele Alleinerziehende“, weiß Oliver Schindler. „Für die ist es wichtig, dass die Kinder nicht irgendwie verwahrt werden, sondern dass sie eine tolle Kita haben.“ So entstand frühzeitig ein Kooperationsprojekt. „Da wir keine eigene Betriebs-Kita gründen durften, haben wir ein Grundstück erworben, dort hat das DRK eine Kita gebaut“, erzählt Sonja Schindler, selbst dreifache Mutter. „Wir bekommen dort bevorzugte Plätze.“
Außerdem sponsert das Unternehmen die Jugendabteilung des Fußballvereins Aufbau Boizenburg. Und der eigens gegründete Verein „Süße Hilfe“ fördert Projekte wie Spielplätze, ein Judo-Sommercamp oder das „Gesunde Frühstück“ in Kitas. „Wir möchten dieser Region etwas zurückgeben“, betont Sonja Schindler. „Nur weil man uns hier so gut aufgenommen hat, konnten wir in dieser Art wachsen.“ Sie ist auch für die Einstellung der Auszubildenden verantwortlich und freut sich besonders, dass sich inzwischen die Kinder von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bewerben.
Die Familie Schindler selbst lebt nur zehn Kilometer entfernt, genießt die Natur hier im Land. „Hier schauen manchmal die Rehe ins Fenster“, schwärmt Oliver Schindler. „Hier kommt man zur Ruhe“, ergänzt seine Frau.